Autotour nach Armenien Teil 2: Durch die armenischen Provinzen
In der dritten Woche unserer Autotour nach Armenien ist es so weit: Mitte Mai überqueren wir im Nordwesten Armeniens die georgisch-armenische Grenze. Am Morgen waren wir in Kars in der Türkei aufgebrochen, nach sechseinhalb Stunden, davon etwa zwei Stunden Wartezeit an zwei Grenzübergängen, kommen wir endlich in Gyumri an. Dabei ließen wir uns nicht von Google Maps in die Irre führen und wussten, dass die Angabe von einer Stunde 14 Minuten Fahrt von Kars nach Gyumri über den geschlossenen türkisch-armenischen Grenzübergang nicht stimmt. Über einige weitere reisepraktischen Details und Tipps habe ich einen separaten Artikel geschrieben, für alle, die so eine Tour oder Ähnliches ebenfalls planen.
Unsere Freunde im Berlin Art Hotel begrüßen uns bei der Ankunft herzlich und beglückwünschen uns zu 6,5 Stunden Fahrt, das sei eine gute Zeit, wird unsere Anreise von Kars eingeordnet. Und dank einer Stunde, die wir aufgrund der Zeitverschiebung „geschenkt“ bekommen, reicht es noch zum Kaffee- und Teetrinken in der Fußgängerzone.
Was machen wir nur in Armenien, wenn wir schon so oft da waren, wurden wir von einigen Freunden vor und nach der Reise gefragt. Inzwischen müsst ihr doch alles Sehenswerte bereits abgeklappert haben. In weiten Teilen stimmt das schon, aber Armenien ist für Wolfgang und mich auch ein Stück zweite Heimat, deshalb kommen wir immer gerne wieder. Hinzu kommt, dass wir beide das Land gut kennen, oft gemeinsam unterwegs waren, aber wir haben auch unsere unterschiedlichen Schwerpunkte. So kenne ich Gyumri etwas besser als Wolfgang und wir brechen daher am nächsten Tag zu einer Autotour zu einigen verstreuten Sehenswürdigkeiten auf, die Wolfgang noch nicht gesehen hat. Der Bahnhof beispielsweise, den ich von verschiedenen Anreisen mit der Bahn kenne und den ich von außen wie von innen beeindruckend finde.
Und wir entdecken gemeinsam den „Iron Fountain“ am Stadtrand. Der monumentale Brunnen stammt aus dem Jahr 1982, als er den Mittelpunkt eines modernen Stadtviertels mitsamt Universität bildete. Bei dem verheerenden Erdbeben von 1988 stürzten die umliegenden Gebäude ein, der Brunnen blieb jedoch stehen. Heute findet man ihn in Sammlungen von „lost places“, also verlassenen Orten, wie er einsam im Brachland vor sich hin rostet. Wobei, ganz einsam ist der Ort doch nicht, als wir an einem Montag Mittag ankommen, sind auch ein paar andere Besucher da, einige junge Hunde springen um uns herum und suchen Anschluss.
Über Straßenhunde hatten Wolfgang und ich am Abend davor auch mit unserem armenischen Freund Alexan gesprochen. Er berichtet uns, dass die Straßenhunde in Gyumri alle gechipt sind und kastriert werden. Das Problem sei allerdings, dass vom Land immer wieder neue Hunde in die Stadt einwandern, aber auch diese werden irgendwann eingefangen, kastriert, markiert und wieder frei gelassen. Wolfgang meint spontan, er würde gerne die Straßenhunde füttern, aber das würde ja doch nichts ändern. Alexan sieht das anders und erwidert, das sei doch eine schöne Idee.
Also halten wir an nächsten Tag auf dem Rückweg vom Klosterbesuch an einer Tierhandlung, die ich auf dem Hinweg gesehen hatte. Während Wolfgang sich zu den diversen Hundefuttersorten, die offen im Angebot sind, beraten lässt, beobachte ich das kleine weiße Kaninchen, das im Laden herumschnüffelt. Wir nehmen einen größeren Vorrat mit, von dem Wolfgang in den nächsten Wochen immer wieder kleine Portionen abzweigt, um sie unter den vielen Hunden, denen wir unterwegs begegnen, zu verteilen.
Zwar meint er immer mal wieder zwischendurch, dass das Ganze doch nicht wirklich helfe, aber ich erwidere dann stets: „Das gibt Karmapunkte“. Wir sind uns einig, in dem Moment wird ein Hund glücklich – oder auch mal zwei – und sie gewinnen manchmal auch wieder etwas mehr Vertrauen in Menschen. Ich lerne dabei, wie viele streunende Hunde es in Armenien eigentlich gibt. Denn die Tiere sind praktisch nie aufdringlich oder aggressiv, wie ich es in anderen Ländern erlebt hatte. Daher ist es leicht, sie zu übersehen. Die Kloster-Ruine kann noch so einsam sein, oft taucht ein streunender Hund auf. Ich vermute dabei ja Zusammenhänge mit der Tüte Hundefutter in Wolfgangs Hosentasche, die eine hungrige Hundenase sicherlich von weitem erschnüffeln kann.
Einsame Kloster-Ruinen sind Wolfgangs Spezialität, viele Wochenenden in seinen zwei armenischen Jahren von 2014 bis 2016 hat er damit verbracht, diese erst mal zu finden und anschließend zu erkunden. Vor allem die Provinzen Lori und Tavush im Norden Armeniens kennt er gut, dort finden sich entlang der „Klosterstraße“ in der Debed-Schlucht nicht nur einige sehr bekannte Klöster, sondern auch noch viel mehr Ruinen halbverfallener Schätze armenischer Baukunst. Ich hatte davon noch nicht mal alle bekannten Bauwerke besichtigt, also nehmen wir uns einige Tage Zeit, um rund um Dilijan und die Debed-Schlucht die Einsamkeit zu suchen.
Dabei machen wir die Erfahrung, dass die wirklich einsamen Ruinenstätten in Armenien immer weniger werden. Armeniens neuer Tourismus-Slogan lautet „The Hidden Track“ und soll Wandertouristen ansprechen. Passend dazu finden sich nun überall im Land viele Wegweiser-Schilder und auch teilweise hergerichtete Wanderwege, etwa zu ehemals einsamen Kloster-Ruinen. Vor sechs oder acht Jahren konnten wir uns an solchen Orten noch einbilden, dass wir, nachdem die Mönche das Kloster vor vielen Jahrhunderten nach einem Raubüberfall oder Erdbeben verlassen mussten, die ersten sind, die durch Brachen stolpern und die Überreste erkunden. Nun weisen uns gelbe Schildchen den Weg und oftmals sind auch andere Wanderer da, wenn auch noch lange nicht so viele, wie an einem sonnigen Sonntag auf Wanderwegen in der Eifel.
Ein Beispiel für dieses Phänomen ist die Kloster-Ruine Kobayr, die sich ebenfalls auf der „lost places“ Webseite findet. Die Definition eines solchen Ortes lautet ja, dass er verlassen und abgelegen ist und es auch keine Perspektiven für einen Wiederaufbau gibt. Genau so hat Wolfgang Kobayr im Jahr 2015 und auch noch danach erlebt, die Beschreibung auf der „lost places“ Seite stammt von 2018.
Im Mai 2023 folgen wir nicht nur Schildern und aufgepinselten Zeichen, es wurden auch Treppen in den steilen Hang gebaut und stellenweise sogar Metallgeländer an den Felsen installiert. All das ist neu, berichtet Wolfgang, er musste im Jahr 2015 noch die Bewohner des Dorfes unterhalb der Ruine nach dem – nicht erkennbaren – Weg fragen. Oben angekommen treffen wir zwar keine anderen Wanderer, aber dafür vier Bauarbeiter. Obwohl es schon mitten am Nachmittag ist, werkeln sie noch fleißig an einer Kapelle. Sowohl die Kapelle als auch die Kirchenruine sind mit kostbaren Wandmalereien bedeckt, die teilweise noch unmittelbar der Witterung ausgesetzt sind. Umso besser also, dass die Instandhaltung nun begonnen hat. Die Bauarbeiter müssen übrigens den gleichen Weg wie wir zur Arbeit hochwandern, aber ein Lastenaufzug und Stromanschluss helfen ihnen bei der Arbeit.
Als wir in einer erhöht gelegenen Rotunde die grandiose Aussicht über die Anlage und das Debed-Tal genießen, erzählt mir Wolfgang, dass die Ruine von Kobayr einer seine Lieblingsorte in Armenien ist. Auch wenn die Einsamkeit hier oben nachgelassen hat, Reisebusse werden nie dorthin finden, „The Hidden Track“ passt definitiv besser. Wer die offizielle Tourismus-Webseite von Armenien besucht, der kann im Begrüßungsvideo in den ersten Sekunden kurz diesen Ausblick von Kobayr in die Schlucht erhaschen.
Weder einsam gelegen noch mit solch spektakulären Aussichten gesegnet ist ein weiteres Ziel unserer Erkundungen, die Kathedrale von Odsun. Heute ist Odsun ein kleines Dorf oberhalb der Debed-Schlucht. Im frühen Mittelalter wurde hier eine große Kathedrale gebaut und auch ein armenischer König daneben begraben. Immer wieder war ich auf dem Hin- oder Rückweg von Dienstreisen an Odsun vorbeigefahren, nie hatten wir Zeit für einen Zwischenstopp.
Hinzu kommt, dass letztes Jahr ein umfangreicher Reisebildband zu Armenien erschienen ist, zu dem ich einen Artikel beisteuern durfte, auf dem Cover ist die Kathedrale von Odsun abgebildet. Da ich finde, dass es nicht sein kann, dass einer meiner Texte in einem Buch auftaucht, bei dem ich den Ort des Titelbildes nicht kenne, besuchen wir also auch die Kathedrale von Odsun. Wolfgang war schon mal da und freut sich daher, dass uns ein Hund entgegenkommt, der vor der Kirchenbesichtigung schnell noch eine kleine Portion Hundefutter erhält. Als wir das Gebäude wieder verlassen, treffen wir auf den Priester der Kirche. Er begrüßt uns sehr freundlich auf Englisch und kann auch ein wenig Deutsch, wie sich bald herausstellt. Ob wir denn den „Taufstein“ gesehen hätten, fragt er uns. Der ist uns in der Tat nicht aufgefallen. Also gehen wir zu dritt zurück in die Kathedrale. Begeistert erzählt uns der Priester von der Geschichte dieser uralten Kirche, auch der Taufstein, eingelassen in die Seitenwand links vom Altarraum, stammt wohl aus dem achten Jahrhundert und ist damit einer der ältesten Taufsteine, die es in Armenien gibt. Anschließend schlägt er uns vor, zusammen auf Englisch das Vaterunser zu beten. Wolfgang und ich werfen uns Blicke zu und sind uns ohne Worte einig. Daraufhin bitte ich den Priester, doch auf Armenisch zu beten. Er fragt verdutzt zurück, warum nicht auf Englisch? Ich antworte, dass ich auf Armenisch in einer armenischen Kirche viel passender fände und dass die armenischen Gebete auch schöner klingen würden. Der Priester ist überzeugt, dreht sich zum Altar und setzt zu einem kurzen Gebet an. Er hebt seine Stimme und singt - wie ich es erhofft hatte, besitzt er eine sehr gute und geübte Singstimme. Begeistert lauschen wir seinem Gesang, der in der Kathedrale vollendet zur Geltung kommt. Unser Gemurmel auf Englisch wäre sicher nicht so erhebend ausgefallen.
Bevor wir zurückfahren, gehen wir noch kurz im Supermarkt gegenüber einkaufen. Davor treffen wir den Hund wieder, der treu Wolfgangs Kirchenbesuch abgewartet hat. Zur Belohnung gibt es noch einen Nachschlag Hundefutter. So viel haben wir an einem Tag selten für unser Seelenheil getan.
Am nächsten Morgen machen wir von den einsamen Ruinen eine kleine Pause, denn Kloster Akhtala, eine der beeindruckendsten Klöster Armeniens, hatte ich noch nicht gesehen und das muss nun geändert werden. Gebaut wurde Akhtala als Wehrkloster auf einem Felsvorsprung, ein Teil der Wehranlagen ist auch heute noch erhalten. Die Muttergotteskirche beeindruckt durch die am besten erhaltenen mittelalterlichen Wandmalereien in ganz Armenien. Hier kann man die frühere Pracht vieler armenischer Kirchen und Klöster erahnen, die inzwischen oftmals verloren gegangen ist.
Auch Akhtala ist ein Beispiel für die steigende Professionalität des Tourismus in Armenien. Die Fresken sind gut ausgeleuchtet, die Anlage rundum schön hergerichtet und neben dem Eingangstor ein Selfie-Spot aufgebaut. All das gab es bei Wolfgangs früheren Besuchen noch nicht.
Damit wir beide etwas Neues entdecken können, schlage ich anschließend den Besuch eines Herrenhauses ganz in der Nähe von Akhtala vor. Aramyants Castle hatte ich auf Instagram entdeckt und fühlte mich von diesem Anblick magisch angezogen.
Wir stellen uns ein verwunschenes, halb vergessenes Schlösschen vor, mindestens hundert Meter durch Brachland vom Straßenrand entfernt gelegen. Stattdessen halten wir an einer breiten Hofeinfahrt mit einem frisch gestrichenen Metalltor, das kein Durchkommen erlaubt. Bald kommt ein muffeliger Wachmann aus dem Häuschen neben dem Tor, der uns erklärt, dass wir Eintritt zu entrichten hätten, etwa 3,70 Euro. Wir schauen uns erstaunt an, denn außer Museen kosten Sehenswürdigkeiten in Armenien selten Eintritt. Aber da wir schon mal da sind, bezahlen wir und folgen dem Wachmann über das Gelände. Gepflegter Rasen und Ferienhäuschen im Bau ziehen sich den Hügel hoch. Nach einigen hundert Metern erreichen wir eine mehrstöckige Ruine, bei der die Außenwände fast komplett fehlen, nur ein paar Holzbalken verhindern anscheinend den unmittelbaren Einsturz. „No photos!“ befiehlt uns der Wachmann, der sonst kein Englisch kann. Fotografieren dürfen wir diesen traurigen Anblick nicht, nur die „Schokoladenseite“ des Gebäudes, wie ich sie auch von Instagram kannte. Gepflegter Rasen und Geranien in einer Amphore davor sorgen hier für perfekte Insta-Motive. Nach einigen Schnappschüssen treten wir gut bewacht bald wieder den Rückweg an.
Über die eigentlich ganz interessante Geschichte dieses Herrenhauses, das einst ein reicher armenischer Geschäftsmann aus Tiflis für seine Tochter in die Berge baute, erfahren wir bei unserem Besuch allerdings nichts. Wirklich schade, aus diesem Ort könnte man noch viel mehr machen, als nur Eintritt zu verlangen und den Rasen zu mähen, die Ruine sonst aber weiter verfallen zu lassen. Wir können nur hoffen, dass unser Eintritt nicht nur in die Gartenpflege investiert wird.
Was mich neben Klöstern und Ruinen in der Provinz Lori besonders beeindruckt hat, ist die gleichnamige Festung, im Armenischen heißt sie Lori Berd. Wolfgang wollte diese schon früher besuchen, nur leider heißt das Dorf ein paar Kilometer vor der Festung genau so, Lori Berd. Vom Dorf aus ist die Festung jedoch nicht ausgeschildert – heute immer noch nicht – und sein Navi wusste damals nicht weiter. Heutzutage klappt es mit Google Maps besser, wir fahren einen schmalen, unauffälligen Feldweg aus dem Dorf hinaus und erreichen tatsächlich nach einigen Kilometern ein Kassenhäuschen neben der beeindruckenden Festungsmauer. Wobei Lori Berd nicht nur eine Festung war, sondern eine ganze Stadt, zwischendurch sogar ein Königssitz mit etwa 10.000 Einwohnern. Geschickt nutzten die Armenier im elften Jahrhundert die Lage auf einem Felssporn zwischen zwei tiefen Schluchten, eine Mauerseite genügte, um die Stadt zu sichern. Wasser aus der Schlucht war ebenfalls genügend vorhanden. Daher kann man heute auf dem weitläufigen Gelände nicht nur Ruinen von Kirchen und Befestigungsanlagen besichtigen, sondern auch mehrere Badeanlagen. Wirklich atemberaubend sind jedoch die Ausblicke in die Schlucht rundherum, schon allein dafür hat sich der Besuch gelohnt.
Lori hat mich in seiner Vielfalt an Sehenswürdigkeiten und den grandiosen Landschaften sehr beindruckt. Je mehr ich von Armenien kennen lerne, umso schwerer fällt es mir, zu sagen, welcher Ort oder auch nur welche Region mir am besten gefällt.
Am nächsten Morgen verlassen wir Lori, um im Süden Armeniens noch ein paar Tage Wellness-Urlaub einzulegen, bevor es nach Yerevan geht. Davon hier mehr.
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Schmidt (Sonntag, 25 Juni 2023 22:33)
Was für eine Freude, mit Ihren Triseerldbnissen viele Erinnerungen fotografisch wieder in Erinnerung zu rufen.Odsin:von dieser Kathedrale und dem Priester war ich brdmgrisydrt.Rin sehr gastfreundlicher Priester, wenn es noch derselbe ist( dank seiner Gastfreundschaft in 2011 hatte ich Schwierigkeiten, in Tiflis mit einer StM’in pünktlich einzutreffen. Streunende Hunde: nicht sicher, ob “ wir” auf diese Herausforderung angemessen reagieren.In StP, Kiew/Odessa, Almaty—und auch in Armenien: nicht leicht zu ertragen.In Kairo und Kinshasa angesichts der Armutssituation und der Hygiene-Probleme: ein gravierendes Problem gewesen( 1979-82/2986-89)— dürfte sich kaum gebessert haben…besten Dank für den erfrischenden Reisebericht)
Adelmann G (Sonntag, 05 November 2023 10:27)
Selten so wunderschöne Fotos in einem Reiseblog gesehen. Ich werde da noch öfters reinschauen.