Gyumris Türen – und mehr

„Welcome to the heart of Gyumri!”

Computerschulungsraum im GTC
Computerschulungsraum im GTC

Das Modell, berufliche Vorhaben mit netten Ausflügen zu verbinden, hat sich ja schon mehrfach bewährt. Daher lege ich meinen nächsten Termin in Gyumri auf einen Freitag Nachmittag, so dass sich quasi nahtlos ein Wochenende in der zweitgrößten Stadt Armeniens dran hängen lässt. 

Und in der Tat: Selbst bei meinem siebten (!) Besuch hier lässt sich Neues und Spannendes entdecken. 

Denn unser Routine-Termin führt uns zunächst ins Gyumri Technology Center. Die PR-Dame des Hauses begrüßt uns gleich mit „Welcome to the heart of Gyumri!“ – also willkommen im Herzen Gyumris – das klingt ja vielversprechend! In diesem Zentrum lernen wir dann nach der Arbeit auch noch einige spannende IT start ups kennen und eines davon – Digital Pomegranate, also der digitale Granatapfel – hat eine Handy App namens „Visit Gyumri“ entwickelt, die uns in den nächsten anderthalb Tagen zuverlässig zu den spannenden Ecken der Stadt lotst und uns gleich noch mit ausführlichen englischen Informationstexten dazu versorgt. 

Ein anderes start up namens Render Forest bietet online das kostenlose Erstellen von animierten Videos in der cloud an – und schon schießen mir erste Ideen in den Kopf, ob ich damit vielleicht die Fülle an Bildern, die ich immer knipse, irgendwie verwursten könnte – wir werden sehen …

Aber das GTC ist noch für weitere Überraschungen gut: Meine Freundin hatte in Yerevan russische Zeichentrickvideos auf Deutsch synchronisiert – natürlich nahm sie an, die Kindergeschichten über sprechende Züge kämen aus Russland. Aber nein, auch diese werden in Gyumri produziert und sie ist außer sich vor Freude, als sie „ihre“ Züge in Gyumri auf dem Bildschirm wiedersieht.

Zu guter Letzt werden wir zu einem ganz analogen Klavierkonzert am nächsten Nachmittag in der großen Halle des Zentrums eingeladen und kommen abends voller neuer Eindrücke in unserer zweiten Heimat, dem Berlin Art Hotel, an.

Am nächsten Morgen finden wir dank der App recht bald die alte Brauerei in Gyumri und ein älterer Herr, der uns auf der Straße natürlich sofort als Touristen erkennt und sehr gut Englisch spricht, führt uns ein wenig durch die Räume.

Bier wird hier allerdings gerade nicht gebraut, die Produktion wurde in neue Anlagen an den Stadtrand verlagert.

Er erzählt uns aber auch, dass in einigen Jahren die Bierproduktion zurückkommen soll – dann mit neuer Technologie in den alten Gemäuern.

Halb lassen wir uns durch die Altstadt treiben, halb orientieren wir uns an den Walking Tours der App und entdecken so z.B. das Boutiquehotel Villa Kars, in einem wunderschönen, nett renovierten Altbau in einem ebenfalls bereits charmant hergerichteten Teil der Stadt. Die junge Frau im Hof kann zwar außer Armenisch nur Italienisch, aber die grundlegende Verständigung klappt trotzdem irgendwie.

Trotz des schönen Wetters widmen wir uns zwischendurch auch noch den schönen Künsten. Mitten in der frisch renovierten Fußgängerzone besuchen wir die Galerie der Malerschwestern Aslamazyan. Die beiden Schwestern wurden Anfang des 20. Jahrhunderts in der Nähe von Gyumri geboren und haben in Yerevan und Moskau Malerei studiert. In den 40er bis 70er Jahren reisten die Beiden immer wieder durch die Welt, vor allem in den Orient und nach Indien, und ließen sich dort zu ihren farbenprächtigen und expressiven Kunstwerken – nicht nur auf der Leinwand – inspirieren. 

Als wir den Innenhof der Galerie betreten, sind wir allerdings zunächst ratlos. Kein Schild weist einen Eingang aus, die Türen sind geschlossen, alles liegt verlassen da. Wir wandern etwas hilflos durch den Garten, als schließlich eine Tür aufgeht und eine junge Frau den Kopf herausstreckt. Wir fragen sie, ob das Museum geöffnet sei, sie bejaht die Frage und bittet uns herein. Offensichtlich sind wir die ersten Gäste des Tages und die drei Mitarbeiterinnen ganz glücklich, das Kaffeetrinken unterbrechen und uns die Schätze des Hauses zeigen zu dürfen. So werden wir von Raum zu Raum geführt, begleitet von Licht an- und ausschalten und Erklärungen zu den Exponaten.

Am Ende kommen wir im kleinen Museums-Shop natürlich nicht an den Medaillons mit Kunstwerken der beiden Maler-Schwestern vorbei, ohne uns je ein Stück davon mitzunehmen.

Russisch-orthodoxe Kapelle
Russisch-orthodoxe Kapelle

Die restliche Zeit vor dem Konzert vertreiben wir uns damit, weitere Ecken der Altstadt mit den wunderschönen alten Bürgerhäusern aus der Zarenzeit zu durchstöbern, als die Stadt noch Alexandrapol hieß. Einige davon sind bereits renoviert, in manchen Ruinen drehen sich die Kräne, andere alte Schätzchen warten allerdings noch darauf, irgendwann aus dem Dornröschenschlaf geweckt zu werden. Vermutlich gibt es noch ungefähr 1.100 historische Gebäude in der Stadt, doch keiner hat den genauen Überblick und es wird wohl auch nicht immer stilgerecht und authentisch renoviert, wie kürzlich eine armenische Journalistin berichtete. Wenigstens findet man diese Schätze dank der App – und auch ganz analog anhand von Hinweistafeln in der Stadt – nun besser. Das Stadtmarketing hat also spürbar an Fahrt aufgenommen.

Das Nachmittagskonzert ist dann gut besucht. Interessanterweise zähle ich zunächst gerade mal drei Herren in Raum, davon ist einer der Pianist und der zweite der Kameramann – klassische Musik scheint hier eine weibliche Domäne zu sein. Das Konzert ist jedenfalls sehr schön und gibt uns nach all den Eindrücken Raum zum Entspannen.

Sonntag Morgen bummeln wir schließlich noch über den Markt von Gyumri, auch dieser wird uns von der App als Highlight empfohlen. Einen robusten Magen sollte man dafür allerdings schon haben, denn neben frischen oder geräucherten Fischen, Obst, Gemüse und Nüssen kann man dort nämlich etwa auch Schweineköpfe und -füße bestaunen – oder kaufen natürlich. Die Fotos dazu erspare ich den sensiblen Stadtkindern (ich habe ja als Kind vom Dorf dort gerne den Metzgerladen und die Schlachtküche dahinter besucht und fühlte mich bei diesem Anblick eher an gute alte Zeiten erinnert).

Der Rückweg birgt auch wieder etwas Neues für uns – wir nehmen den Zug, der in drei Stunden (mit Halt an jeder Gießkanne) durch die armenische Landschaft zurück nach Yerevan bummelt. Am Bahnhof bin ich mir zunächst nicht sicher, ob wir nun zu Pferde oder in der Rakete reisen werden, aber dann wartet doch ein Zug mit Holzbänken auf uns. 

Übrigens wurde kurz nach unserem Besuch der neue Schnellzug eingeweiht, der inzwischen in moderner Ausstattung in zwei Stunden zwischen den Städten hin und her braust.

 

Und was hat es schließlich mit den Türen Gyumris auf sich? Nun, die alten, bunten Holztüren der Stadt sind eine Sehenswürdigkeit für sich, aber wie präsentiert man halbwegs unterhaltsam 66 Türen-Fotos? Hier mein Versuch dazu:

 

 

PS: Über die Besuche eins und drei in Gyumri habe ich auch gebloggt, meine Freundin Sybille hat einen sehr schönen Gastbeitrag über den zweiten Besuch verfasst.

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Kommentare: 1
  • #1

    Brunhilde Hoermann (Montag, 19 März 2018 08:47)

    Super, dass ist eine prima Reklame für Gyumri.
    Ich war schön 10 mal dort und liebe Gyumri.
    Der Bericht ist wirklich Klasse, danke☺