Weil Oldtimer in Armenien so fotogen sind

Mein 45. von 111 Gründen, Armenien zu lieben

Schwimmbadgrüner Wolga in den Straßen von Yerevan
Schwimmbadgrüner Wolga in den Straßen von Yerevan

Im November 2019 ist im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag mein Buch

 

111 Gründe, Armenien zu lieben

Eine Liebeserklärung an das schönste Land der Welt

 

erschienen. Dank der Erlaubnis des Verlags darf ich auf meinem Blog einige Texte daraus veröffentlichen.

Im dritten und letzten Teil dreht sich alles um einige meiner liebsten kaukasischen Fotomotive: Wolgas, GAZ-Lastwagen und Co.


Frage an Radio Eriwan: 

Gibt es eine marxistisch-leninistische Definition für das Auto?

Radio Eriwan antwortet: 

Im Prinzip ja. Das Auto ist ein Fahrzeug auf vier Rädern, in dem das werktätige Volk in Gestalt seiner freigewählten Vertreter fährt. 


Armenische Heu-Pyramide
Armenische Heu-Pyramide

Wenn man, so wie ich, drei Jahre lang seine temporäre Heimat vielen Freunden zeigt, dann hat dies den schönen Nebeneffekt, dass man die gleichen Orte und Gegebenheiten immer mal wieder mit neuen Augen sieht. Denn jedem Besucher fällt etwas Anderes ins Auge, das Armenien besonders macht. Ordentlich gestapelte Heu-Pyramiden neben den Bauernhäusern zum Beispiel, auf die mich eine Freundin bei einem September-Besuch aufmerksam machte. Nicht nur, dass ich diese zuvor gar nicht wahrgenommen hatte, als ich später genauer darauf achtete, hatte ich zudem den Eindruck, dass die Heu-Berge in den Dörfern der Nachbarländer nicht ganz so liebevoll ordentlich gestapelt waren wie bei den armenischen Bauern. 

Ein guter Freund, der seine Freundin und mich im Juni 2017 gut eine Woche lang durch Armenien chauffiert, ist begeistert von den vielen sowjetischen Oldtimern, die wir unterwegs sehen, sowohl Lastwagen als auch Autos. Da er aber der designierte Fahrer ist, bittet er mich, Fotos zu machen. Nach ein paar Tagen habe ich den Dreh raus, wie man aus dem fahrenden Wagen heraus entgegenkommende Fahrzeuge immer noch halbwegs scharf ablichten kann. Zwischendurch halten wir sogar an, wenn wir ein besonders schönes altes Schätzchen am Straßenrand sehen. Und bald bin ich nicht nur begeistert von der Jagd an sich, sondern auch von der Beute. Die himmelblauen Laster mit weißem Kühlergrill-Mund, chromumrandeten runden Scheinwerfer-Augen und abstehenden Rückspiegel-Ohren mag ich besonders gerne, zudem findet man diese immer noch in jeder Ecke des Landes. 

Um etwas mehr über das Modell herauszufinden, muss ich mich umhören. Der Vater einer armenischen Freundin schaut sich meine Sammlung von Oldtimer-Bildern an und bringt mich bei dem blau-weißen Laster auf die Spur: Das Modell heißt GAZ-53 und wurde in der Sowjetunion über vierzig Jahre lang bis 1993 gebaut, insgesamt vier Millionen Mal. In der ganzen Zeit bliebt das Modell auch fast unverändert. Daher kann der Laster in Sechzigerjahre Optik möglicherweise auch „nur“ dreißig Jahre auf dem Buckel haben. Robust sind sie jedenfalls und überall in Armenien weiterhin im Einsatz, als Baustellenfahrzeug beispielsweise, bei der Traubenernte oder auch mal umgebaut und bunt lackiert zum Wohnmobil. 

Kurze Zeit später lese ich in einem Blog-Artikel „sechs Geheim-Tipps für Eriwan“, einer davon ist das Fotografieren von sowjetischen Oldtimern. Dies spornt mich weiter an, die Augen offen zu halten. Richtig schnittige, schwungvolle und chromblinkende Oldtimer sieht man in Eriwans Straßen allerdings nur noch sehr selten. Ein langgestreckter, knallblauer Wolga aus den Sechzigern stand eine Zeit lang Sommers wie Winters auf dem Platz der Republik mitten in der Stadt und konnte von Touristen für Ausflüge gemietet werden. 

Ein anderer schöner Sechzigerjahre Wolga in weiß steht immer in der Nähe der Kaskade als Werbeträger vor dem Zeitreise-Lokal Temurnots. Seine sanft zum verchromten Kühlergrill heruntergezogene Motorhaube wird in der Mitte nicht nur von einer Chrom-Leiste geschmückt, am vorderen Ende setzt sogar das typische Wolga-Emblem, ein langgestreckter Hirsch, zum Sprung an. Der Wagen vor dem Eingang soll schon einstimmen auf das Nostalgie-Erlebnis drinnen.

Ein weiterer Oldtimer, ein Zaporozhets, quasi der Trabant der Sowjetunion, kommt hier über dem Tresen aus der Wand gefahren. Im hinteren Teil des Lokals werden auf einer Leinwand ab und zu sowjetische schwarz-weiß Filme aus den Sechzigern gezeigt, die meine armenischen Freunde regelmäßig in nostalgische Schwärmereien versetzten. Sogar die Speisekarte passt ins Konzept, erklärt mir meine Freundin. Einige Gerichte sind gute alte Klassiker, eher einfache Hausmannskost wie Bratkartoffeln mit Wurst, wie sie heutzutage in Restaurants in Eriwan ansonsten vollkommen aus der Mode gekommen ist.

Den meisten anderen alten Autos aus der Sowjet-Zeit geht es nicht mehr so gut. In den Seitenstraßen und Hinterhöfen Eriwans stehen viele alte Ladas, Zaporozhets und Schigulis, auf die die Familie Jahrzehnte warten musste und die nun selbst seit Jahrzehnten darauf warten, dass sie entweder gefahren oder wenigstens recycelt werden. Ich habe die sitzengelassenen Autos immer daran erkannt, dass sie die Jahreszeiten widerspiegeln, überhäuft von bunten Blättern im Herbst, unter Schnee verschwunden im Winter und von der Sonne allmählich wieder freigelegt im Frühling. 

Doch eines Tages biege ich morgens in die Straße zum Büro ein und kann mein Glück kaum fassen: Ein polierter und chromglänzender Oldtimer-Wolga in Schwimmbad-türkis parkt in unserer Straße! Sofort zücke ich mein Handy und dokumentiere diesen Fund von allen Seiten. Zwar hat das alte Schätzchen untenrum ein ganz klein wenig Rost angesetzt, aber ansonsten sieht man dem Gefährt schon an, dass sein Besitzer viel daransetzt, es in Schuss zu halten. 

Die fetteste Foto-Beute mache ich schließlich in Garni, dem Örtchen mit dem gleichnamigen antiken Tempel (40. Grund). Eigentlich sind meine Freundin und ich an diesem Tag nach Garni gekommen, weil wir uns ein neues Öko-Projekt mit Elektro-Fahrrädern anschauen wollen und hoffen, mit den E-Bikes eine Runde drehen zu können. Der Ständer für die Elektro-Fahrräder ist allerdings leer und in der Touristen-Information weiß auch niemand Bescheid, wo die Räder geblieben sind. Als wir schließlich an der Bushaltestelle auf unsere Rückfahrt warten, entdecke ich auf der anderen Straßenseite nicht nur einen schick herausgeputzten blau-weißen GAZ-53 Laster, direkt daneben hält auch noch ein tiefschwarzer eleganter alter Wolga an. Auf Schwarz wirken die Chrom-Leisten einfach am besten, auch wenn die Kombination mit modernen Sportfelgen der Gesamterscheinung des Wagens nicht ganz so gut tut. Doch auch der GAZ-53 ist nicht mehr völlig original erhalten, auf der Motorhaube prangen nun übereinander ein Opel- und ein BMW-Emblem. Wobei ich zugeben muss, dass ich die blaue DAF-Schabracke mit weißen Quasten in der Windschutzscheibe, farblich fein abgestimmt, besonders gelungen finde. 

So schieße ich an diesem Nachmittag meine schönste Oldtimer-Fotoserie in Armenien, origineller als Elektro-Fahrräder sind diese Gefährte allemal.

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