Armenische Heu-Pyramiden

Viel Liebe in der Ordentlichkeit

Ende August hat mein drittes Jahr hier in Armenien begonnen. Bei meiner Ankunft wurde ich zunächst wieder schmerzlich an die Abschiede im Juni erinnert, die mir während des Sommers in Deutschland erst mal gar nicht so bewusst waren. Zwei Sängerinnen – und gute Freundinnen – aus unserem kleinen Chor haben das Land verlassen und auch meine liebe Wandergefährtin, die mich des Öfteren aus meinem Wochenende-Schlunz gerissen und mich auf Festungen und Gipfel gejagt hatte, ist jetzt nicht mehr da.

 

Mitten in dieser melancholischen Stimmung kam dann zum Glück eine gute Freundin aus Deutschland mit ihrer Tochter zu Besuch, beide waren sehr gespannt auf Armenien und voller Tatendrang, den für sie noch völlig unbekannten Kaukasus entdecken zu wollen. 

Bevor es in den Süden Armeniens geht, schauen sie sich zunächst noch ein wenig in Yerevan um, gefolgt vom Besuch eines Weinguts ein Stück weit außerhalb der Stadt. Ein schöner Einstieg, um die bunte Kultur Armeniens kennenzulernen. 

 

In der Stadt hat mich am meisten beeindruckt, wie quirlig die Stadt doch nachts ist. Tagsüber wirkte Yerevan auf mich eher verschlafen. Aber nachts … Alle Yerevaner scheinen dann auf den Straßen zu sein und die Stimmung ist großartig. Überall kann man Straßenmusiker bewundern, die wirklich supertoll spielen und es gibt so viele schöne Kneipen und Cafés. Die Armenier haben auffallend viel Geschmack und ein ästhetisches Auge in Bezug auf Innenarchitektur, finde ich!

 

Am nächsten Tag kurven wir dann in unserem Mietwagen zusammen los. Dies beginnt auch für mich mit einer Premiere. Denn da meine Freundin meinte, dass sie nicht die ganze Zeit Auto fahren möchte (diesmal ist kein männlicher begeisterter Autofahrer dabei), setze ich mich zum ersten Mal auch in Armenien hinters Steuer. In Yerevan ist dafür noch recht viel Konzentration erforderlich, aber außerhalb der Stadt heißt es im Wesentlichen, auf kreuzende Kuh-Herden zu achten. 

 

Ich hatte immer große Lust, durch diese Landschaft zu galoppieren und wäre gerne ein Pferd gewesen. Aber fast genauso viel Spaß hat es mir gemacht, mit dem Auto durch diese Landschaft zu fahren- kein Wunder, denn die Straßen sind ja toll und der Verkehr sehr überschaubar.

 

Kloster Noravank
Kloster Noravank

Nach einem Zwischenstopp beim Kloster Chor Virap am Fuß des Ararat erreichen wir das Kloster Noravank. Es ist Freitag, der 1. September, in ganz Armenien fängt heute die Schule an. Dies bedeutet, dass an diesem Tag nicht allzu viele Besucher hier sind, ganz entspannt wandern wir durch die Anlage. 

Meine Freundinnen haben den selben ersten Eindruck von Noravank wie ich: Wenn man sich zwischen den beige-roten Steilhängen der Kirche nähert, dann hat man das Gefühl, als würden die Gebäude förmlich aus dem Felsen herauswachsen. Die Magie dieses Ortes nimmt uns gleich gefangen, denn kaum sind wir angekommen, hören wir eine Frauenstimme singen. Zielstrebig klettere ich die schmalen Stufen in die Oberkirche von Noravank, meine Gäste gleich hinterher. Oben steht eine junge Frau, die vor dem Altar einige Stücke singt. Sie ist umringt von anderen Besuchern, die ebenso wie wir gebannt lauschen und kein Wort herausbringen. Erst hinterher danken ihr die Zuhörer flüsternd in ihren jeweiligen Sprachen, von Armenisch über Russisch bis zu Englisch. 

Weiter steuere ich durch die Herbstlandschaften unserem Hotel zu. Meine Freundin hat bereits so viele Fotos gemacht, dass der Akku ihrer Kamera fast leer ist. Daher knipst sie zwischendurch mit meinem Handy weiter. 

 

Besonders imponiert hat mir die Weite der armenischen Landschaft, die ganz unterschiedlichen Farbenspiele und Schattierungen. Der Himmel so weit, das Grün so grün und die Berge in allen erdenklichen Farbkombinationen – wunderschön! Das macht den Geist so frei!

 

Am nächsten Tag steht das Kloster Tatev mit einer Fahrt in der längsten Seilbahn der Welt auf dem Programm. Meine alpin-erprobten Freundinnen fiebern den „Wings of Tatev“ daher schon entgegen. 

Auch hier haben wir Glück, heute ist Tatev nicht von Besuchern überlaufen. Die Armenier, die hier sind, sind meist aus religiösen Motiven gekommen. Da wird Wasser aus dem frisch restaurierten Brunnen neben dem Eingangstor gezapft, in der Kirche werden Kerzen angezündet und die beiden Priester hinter der Altarschranke haben wortwörtlich alle Hände voll zu tun, um die Besucher, meist mit Kindern an der Hand oder auf dem Arm, zu segnen. 

Alle diese Zeichen des lebendigen Glaubens vieler Armenier beindrucken meine Freundinnen. Nicht nur in Tatev, auch an anderen Orten, finden sich zum Beispiel auch immer wieder Mauernischen, ausgeschmückt zu kleinen, improvisierten Altären.

 

Auf dem Rückweg machen wir noch einen kleinen Schlenker nach Karahunj. Die Debatten in der Wissenschaft um dieses Megalith-Feld interessieren uns eher am Rande, wir durchstreifen – mal wieder praktisch alleine – die weite Hochebene und spinnen uns dabei unsere eigenen fantasievollen Geschichten um diesen Ort zusammen. 

Den weiteren Weg zum Hotel vertreiben wir uns zudem mit der Jagd nach dem Lieblings-Fotomotiv meiner Freundinnen: Heuballen-LKWs und -Pyramiden! Es ist für mich immer wieder schön, Armenien mit den Augen meiner Besucher ein wenig neu zu entdecken: Der einen gefallen die isländisch anmutenden Steinfelder, dem anderen die blau-weißen Trucks und bei ihnen sind es nun die Heu-Pyramiden.

 

Ganz toll fand ich die Heuladungen auf den Autos und die säuberlichst gestapelten Heuhaufen in den Dörfern. Da steckte irgendwie viel Liebe in dieser Ordentlichkeit!

 

Bevor wir am Sonntag Vormittag Jermuk verlassen, wo wir zwei Nächte übernachtet haben, drehen wir noch eine Runde durch den Ort. Gleich neben dem Hotel finden sich Verkaufsstände von Bäuerinnen, die meist selbstgemachtes verkaufen, angefangen von getrockneten Kräutern, Früchten und Honig über Gebäck bis hin zu Stricksachen. Meine Freundinnen sind immer wieder verführt und kaufen an fast jedem Stand irgendetwas Nettes oder Leckeres – das man natürlich vorher auch probieren durfte.

Eines der Highlights von Jermuk ist der Wasserfall. Sicher mit einer Höhe von 70 Metern keine besonders lange oder wasserreiche Kaskade, dafür sehr schön gelegen in der Arpa-Schlucht, mit ihrem sanften Rauschen wirkt sie umso idyllischer auf uns.

Wir bleiben beim Thema Wasser, über den Selim-Pass fahren wir zu unserem letzten Ausflugs-Ziel, dem Sevan-See. Auf dem Pass prasseln noch ein paar Regentropfen auf unser Auto, aber als wir dann am See entlang fahren, ist es schon wieder trocken und zwischendurch scheint auch die Sonne. 

Zurück im herbstlich-kalten Rheinland schreibt mir meine Freundin als Fazit ihrer Reise:

 

Die Menschen fand ich sehr nett und auf oft eine sehr angenehme und intelligente Art zugewandt und neugierig. Sie biedern sich nicht an, das hat mir gefallen. Am letzten Abend hatte ich ein interessantes Gespräch: Ich erwähnte, dass mir die Menschen in Armenien sehr ernst vorkämen, dass man wenig Lachen in den Gesichtern sehen würde und die Armenierinnen sagten mir, sie hielten ihr Volk eigentlich für ausgesprochen fröhlich (!). – Wie weit da unsere Wahrnehmungen auseinander gingen!

 

Überhaupt die Menschen! Auf der einen Seite wirkten sie ganz „mitteleuropäisch“ auf mich, und dann wieder merkte man, dass sie ganz anders denken und leben, vor allem in Bezug auf die Geschlechterrollen. Der Unterschied zwischen der Selbstwahrnehmung und Lebensweise von Männern und Frauen ist in Armenien 100mal größer als in Deutschland, scheint mir. Viele schöne Frauen habe ich gesehen, bei den Männern waren es meist nur die Augen, die auffielen (changierend zwischen grün, blau, braun) und sie wirkten im Gegensatz zu den Frauen sehr nachlässig. Die Selbstkontrolle armenischer Frauen dagegen scheint mir extrem groß zu sein, in der Art, sich zu präsentieren, zu gehen, zu sprechen und zu gucken – das hat mich sehr an den Orient erinnert. 

 

Was mich erschreckt hat: die Scheußlichkeit der sowjetischen Bauten in Jermuk – mitten in eine so schöne Landschaft solche Betonklötze zu setzen ist schon übel!

 

Was ich schon jetzt vermisse: das gute Wetter, die tolle Musik, das Gefühl, überall von intelligenten Menschen umgeben zu sein.

 

Zu guter Letzt: Armenien war Terra Incognita für mich – das ist es jetzt nicht mehr. Ich habe Lust, mehr zu sehen vom Kaukasus, mehr zu verstehen.

 

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