Armeniens Hoffnung

Altstadt von Tbilissi, Georgien
Altstadt von Tbilissi, Georgien

Vor ziemlich genau zwei Jahren war meine schwäbisch-rheinländische Besuchergruppe das erste Mal in Armenien. Nun, in meinem letzten Jahr im Kaukasus, stellte sich meinen Eltern die Frage, ob sie nochmal kommen möchten, solange ich noch hier bin, oder auch nicht. Ich überzeuge sie schließlich mit dem Vorschlag, erst nach Tbilissi zu fliegen und nach zwei Tagen Georgien über Land nach Armenien zu fahren. Zudem überlege ich mir ein Programm, das gezielt in die Landesecken Armeniens führt, die sie bei ihrem ersten Besuch noch nicht gesehen haben. Auch meine Freunde sind mit Begeisterung wieder dabei, ein eingespieltes Team ist also bereit, neue Seiten des Kaukasus zu entdecken.

Kloster Sanahin in Armenien, UNESCO Weltkulturerbe
Kloster Sanahin in Armenien, UNESCO Weltkulturerbe
8. Mai 2018 in Yerevan: Schülerinnen auf dem Weg zur Demo
8. Mai 2018 in Yerevan: Schülerinnen auf dem Weg zur Demo

Doch zunächst breitet sich im April Nervosität in der Gruppe aus. Denn in Armenien ist Revolution, die Tagesschau und sogar die Bildzeitung berichten über die Lage („MIT HUPEN UND TANZEN AN DIE MACHT- Die coolsten Revoluzzer der Welt - BILD erklärt die Lage in Armenien: Das Land, das jetzt plötzlich Schlagzeilen macht“). 

 

Kann man überhaupt noch reisen, ist es noch sicher? Ich weiß es vor Ort auch nicht so genau. Zwar kann ich bestätigen, dass die Lage immer sicher war, aber einige Wochen lang bleibt es chaotisch und unübersichtlich im ganzen Land und alle – Armenier und Besucher – können nur hoffen, dass es friedlich bleibt und die Ereignisse ein positives Ende nehmen. Eine intensive Kommunikation zwischen Deutschland und Armenien entspannt sich auf allen digitalen Kanälen, ich überprüfe die Stornierungsfristen der diversen Buchungen, die ich bereits getätigt habe. Am Ende beschließen wir, erst mal nicht zu stornieren, sondern abzuwarten und einfach zu hoffen, dass alles gut geht. 

 

Eine gute Woche vor Abflug ist dann klar, dass die Armenier erfolgreich eine gewaltfreie, friedliche, harmonische und nicht zuletzt sehr fröhliche „samtene“ Revolution zu Stande gebracht haben. Der Revolutionsführer wurde am 8. Mai zum neuen Ministerpräsidenten gewählt, eine gewaltige Welle an Aufbruchsstimmung und Optimismus zieht durch das Land und beflügelt die Menschen. Einen schöneren Zeitpunkt für eine Armenien-Reise konnte es also letztendlich kaum geben.

Tbilissi, Betlehem Kirche
Tbilissi, Betlehem Kirche

Doch zunächst landet die Gruppe wie geplant in Georgien, dort warte ich schon auf sie. Meine Kollegen in Tbilissi helfen mir erneut zuverlässig bei der Programmplanung und organisieren uns eine ganz wunderbare deutschsprachige Reiseführerin, die uns in zwei Tagen sehr intensive, schöne und spannende Eindrücke der Stadt, des Landes und nicht zuletzt der Menschen vermittelt. Da ich ja vom letzten Besuch der Gruppe vor zwei Jahren weiß, dass man die Anzahl an Kirchen und Klöstern pro Tag nicht übertreiben darf, schlägt sie uns eine sehr ausgewogene Mischung aus Kultur und Kulinarischem vor. So besuchen wir unter anderem eine hochmoderne Vinothek in Tbilissi mit einem deutschsprachigen Weinkellner sowie in Kachetien einen malerisch gelegenen, schicken Weinbaubetrieb unter deutscher Leitung.

In Yerevan habe ich als Basis diesmal ein geräumiges Ferienhaus am Hang angemietet. Besonders die Dachterrasse mit einem atemberaubenden Blick über die ganze Stadt – und ab und zu sogar dem Ararat im Hintergrund – sorgt für Entspannung und echte Urlaubsstimmung zwischen den verschiedenen Programmpunkten. 

Und auch die armenischen Hausleute, die im Erdgeschoss wohnen, schaffen eine sehr angenehme Atmosphäre. Sie können zwar weder Englisch noch Deutsch und auch niemand in der Gruppe Russisch oder Armenisch, aber Gastfreundschaft und Herzlichkeit benötigen nicht immer Worte. Dies zeigt sich nicht zuletzt, als bei der Heimreise nachts um 2 Uhr die Taxis zum Flughafen vor dem Haus parken und der Hausmann im Bademantel zu uns vor die Tür kommt. Er verabschiedet jeden mit einer Umarmung und bei meiner Mutter glaube ich, „gute Frau“ auf Russisch zu verstehen. Unter anderem hatte sie am Mittag zuvor seinen beiden süßen kleinen Enkeltöchterchen zum Abschied je einen Eurogeldschein in die Hand gedrückt. 

Letzter Schultag in Armenien von der Dachterasse aus gesehen: Rot Blau Orangene Luftballons steigen in den Himmel
Letzter Schultag in Armenien von der Dachterasse aus gesehen: Rot Blau Orangene Luftballons steigen in den Himmel

Wenige Stunden zuvor, am letzten Nachmittag in Armenien, dämmern wir auf eben jener Terrasse tiefentspannt dem Abschiedsabendessen entgegen und ich nutze die Gunst der Stunde, um die Gruppe nach DEM Highlight bzw. dem Besonderen dieser zweiten Reise in den Kaukasus zu befragen. 

Sofort sind sich alle einig, was für sie der eindrucksvollste Programmpunkt war, den sie in den letzten Tagen besucht haben. Nicht eine der beiden UNESCO-Weltkulturerbestätten (Kloster Sanahin bzw. der Sitz der armenischen apostolischen Kirche, Etschmiadzin), auch nicht die nun bereits bekannten grandiosen kaukasischen Landschaften oder kulinarische Erlebnisse, so lecker bzw. süffig diese auch waren, sondern: Die Begegnungen mit den Menschen im „Haus der Hoffnung“!

Das Haus der Hoffnung steht weder im Lonely Planet noch bei Tripadvisor, es hat gerade einmal eine Facebook-Seite mit 700 Fans. Wie also sind wir nur darauf gekommen? Nun, die Welt ist bekanntermaßen ein einziges Dorf: Unser schwäbischer Fahrer der Gruppe, Oliver, ist auch aktives Mitglied im Deutschen Roten Kreuz (DRK). Daher hatte er schon vor einiger Zeit gehört, dass der DRK Landesverband Baden-Württemberg in Yerevan eine Zweigstelle namens Haus der Hoffnung betreibt. Auch den armenischen Leiter dieser Zweigstelle, Movses Poghosyan, hatte er schon mehrfach bei DRK-Aktivitäten getroffen. Also stellt Oliver vor der Reise per E-Mail den Kontakt her und meldet eines Mittags dort die Gruppe zum Besuch an. Wir fahren mit dem Mietwagen von unserem Urlaubsparadies los, nur eine knappe halbe Autostunde trennt uns von den einfachen Außenbezirken Yerevans, in denen das Haus der Hoffnung angesiedelt ist. 

Speisesaal im Haus der Hoffnung
Speisesaal im Haus der Hoffnung

Dort warten schon zwei Kollegen von Movses auf uns, ein Projektleiter und eine Übersetzerin, die ihr tolles Deutsch unter anderem in Schwäbisch Gmünd gelernt hat. Sie heißen uns herzlich willkommen, zeigen uns zuerst den – noch leeren – Speisesaal für die Bedürftigen und erklären uns dann im Büro ausführlich und aufschlussreich die Bandbreite an Projekten, die diese DRK-Zweigstelle durchführt. Es beginnt beim Speisesaal, in dem jeden Mittag ca. 120 Bedürftige in zwei Schichten ein reichliches, warmes Mittagessen serviert bekommen. Die Bettlägerigen des Stadtteils können ihre Verwandten schicken, die das Essen dann mit nach Hause nehmen. Hinzu kommen einige weitere Essensausgabestellen in der Stadt, die mit den schwäbischen DRK-Fahrzeugen jeden Mittag angesteuert werden. Ergänzend dazu betreiben sie auch noch ein Programm für häusliche Pflege und für hilfsbedürftige Schulkinder in den armenischen Provinzen. Insgesamt hilft das kleine Team von gerade mal 20 hauptamtlichen DRK-Kollegen damit jeden Tag über 1.000 Armenierinnen und Armeniern, tatkräftig unterstützt von vielen jungen armenischen Freiwilligen. 

Schon während des Gesprächs kommt auch Movses ins Büro und freut sich riesig über die Besucher und das schwäbisch-armenische Wiedersehen. Wir können uns rasch sehr gut vorstellen, wie er mit seiner Herzlichkeit und Energie, aber auch der notwendigen Entschlossenheit, diese Zweigstelle so erfolgreich leitet. Und auch er ist voller Hoffnung und Zuversicht, dass sich nun – nach der Revolution in Armenien – für die Menschen vieles früher oder später zum Besseren wenden wird.

DRK-Bus wird für die Essensausgabe beladen
DRK-Bus wird für die Essensausgabe beladen

Inzwischen ist Mittagszeit, die erste Schicht hat bereits begonnen, Suppe mit Hackfleischbällchen zu essen. Wir gehen wieder hinunter in den nun gut gefüllten Speisesaal, einige der Essensgäste stehen auf und begrüßen uns direkt mit einem Lächeln im Gesicht. Manche der Seniorinnen und Senioren können ein wenig Deutsch oder Englisch und bedanken sich für unseren Besuch. Schließlich überzeugen wir Oliver davon, dass es jetzt Zeit für eine kleine Rede wäre. Als er am Ende seiner – schön kurzen – Ansprache die Anwesenden zu ihrer neuen Regierung beglückwünscht, wird er mit großem Applaus belohnt. Schließlich drückt er Movses noch einen Umschlag mit einer privaten Spende der Gruppe in die Hand, die mit weiterem Beifall – und bereits nach wenigen Minuten auch mit einer ordentlichen Spendenquittung – honoriert wird.

Haus der Hoffnung in Eriwan
Haus der Hoffnung in Eriwan

Eigentlich wäre es nun Zeit für den Abschied, doch wir stehen noch lange auf dem Hof des Hauses der Hoffnung zusammen, unterhalten uns mit den Kollegen und den Essensgästen. Movses verteilt großzügig seine Visitenkarten an uns, ich fachsimple mit der Übersetzerin über die Vorteile guter PR, die auch nicht immer Geld kosten muss. 

Schließlich fahren wir zurück ins reiche, touristische Yerevan, doch diese Begegnungen lassen uns nicht los. Meine Freundin schreibt mir schon am Tag ihrer Ankunft in Deutschland, dass sie sich nun einen „working holiday“ im Haus der Hoffnung in Yerevan sehr gut vorstellen kann.

 

 

P.S.: Wer nun selbst spenden möchte, findet hier weitere Infos zum Projekt und die entsprechende Kontoverbindung des DRK

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