Bienen, Adler, Schmetterlinge und Schlangen

Armenien neu entdeckt

Klatschmohnblüte mit Hummel-Füllung
Klatschmohnblüte mit Hummel-Füllung

Nicht nur meine Blog-Leser wissen inzwischen, dass ich derzeit nicht nur für digitale, sondern auch für analoge Medien schreibe – seit November wächst mein Manuskript für das Reisebuch „111 Gründe, Armenien zu lieben“. Wiederum ab November wird es dann, wenn alles klappt, in den Buchläden zu erwerben sein. Beim Planen und Schreiben merke ich bald, dass ich als Stadtmensch und Kulturliebhaberin zwar viel über Armenien und seine Hauptstadt Yerevan zu berichten weiß, aber zu Natur und Umwelt stelle ich doch Lücken fest – umso schmerzlicher bei einem Naturparadies und Biodiversitäts-Hotspot wie Armenien. 

Nachdem ich mich also theoretisch – teilweise recht mühsam und mit viel Hilfe und Unterstützung von Freunden – ein wenig in die Biologie des Kaukasus reingewurschtelt habe, möchte ich mich dafür Mitte Juni mit einem entsprechenden Rechercheurlaub belohnen. Die Route dafür ist eher kurios und macht um Yerevan erst mal einen weiten Bogen, stattdessen stehen die Ecken und Winkel auf dem Programm, die ich in drei Jahren Armenien noch nicht erreicht hatte. Zum Glück kann ich meine älteste Freundin und ihren abenteuerlustigen Freund, Michaela und Michael, davon begeistern, mich zu dieser Reise weitgehend abseits der Kulturpfade zu begleiten. Praktischerweise ist es nämlich bereits ihr zweiter Urlaub dort, die Top-Highlights sind also schon abgehakt. 

Segelfalter im Matsch
Segelfalter

Schmetterlinge beispielsweise sind so ein Thema, Armenien ist ein Schmetterlings-Paradies, viele Briten kommen für ein bis zwei Wochen nur ins Land, um Falter zu beobachten. Nachdem ich gefühlt die halbe Webseite von „Butterfly Conservation Armenia“ durchgelesen habe (die unter anderem jede der 236 Schmetterlingsarten en détail beschreibt, die im Land jemals gesichtet worden sind), nehme ich mir daher vor, mit meiner neuen Kamera ebenfalls Schmetterlinge zu jagen. Michael stecke ich mit meinem Jagdeifer rasch an, auch scheint er irgendwie geduldiger zu sein als ich, die tollsten Fotos von Faltern im Matsch stammen von ihm. 

Die kleine Abenteuer-Tour, die uns dorthin führt, hätte ich schon früher haben können, ein Ausflug von gerade mal zwei Stunden von meinem Lieblings-Kurort Jermuk aus. Doch bislang war ich von dort entweder zu wichtigen Klöstern aufgebrochen oder habe den Tag überwiegend im Wellness-Bereich des Hotels verbracht. Diesmal wird die Wellness radikal auf nur eine Anwendung reduziert und dafür eine Offroad-Tour zum Geysir von Jermuk gebucht – Naturwunder erleben. Ein bulliger schwarzer SUV aus russischer Produktion, uneingeschränkt geländegängig, holt uns ab. Sos, unser Fahrer ist bestens gelaunt und fragt uns als Erstes nach unserem Musikgeschmack. Daraufhin dröhnt bald Jazz durch den Wagen, während wir über holperige Feldwege dem Ziel entgegen schaukeln und hüpfen. Bald durchqueren wir tiefe Pfützen, als Auftakt zu zwei Bachläufen im Wald, die Sos ebenfalls souverän durchpflügt. Doch davor hält er jeweils kurz an und hupt. Warum wird uns wenige Augenblicke später klar. Eine riesige bunte Wolke an Schmetterlingen erhebt sich daraufhin von der Wasseroberfläche und umschwirrt unseren Wagen. Der Traum zerstiebt jeweils innerhalb weniger Sekunden, bleibt uns dafür aber umso länger in Erinnerung. Als wir schließlich den Geysir, einen kleinen natürlichen Pool mit warmen Schwefelwasser aus einer mehr oder weniger stark blubbernden Quelle, erreichen, wollen wir daher sofort weiter Schmetterlinge jagen. Doch Sos überzeugt uns davon, erst mal zu baden und lockt uns mit dem Versprechen, mit allen vorhandenen Kameras davon Fotos zu machen. Wir sind überzeugt und rutschen in den kleinen Pool, den wir zu dritt gerade ausfüllen. Nach der Foto-Session, wir hocken immer noch im Geysir, bietet er uns Wodka an. Michael stimmt zu, eher aus Höflichkeit, Michaela und ich haben morgens um Elf darauf noch keine Lust. Kurz danach kommt Sos wieder, mit drei kleinen Metallbechern. „Wodka and no wodka“ erklärt er uns und grinst dabei übers ganze Gesicht. In den Damenbechern ist je ein Schluck armenischer Brandy, lecker! Meine Freundin und ich sind uns einig, dass dieser besonders gut zu unserem Bad passt. Dafür – und wegen der Schmetterlinge natürlich, die wir später im Matsch rund um die Quelle jagen – hat es sich zweifelsohne gelohnt, auf ein wenig Wellness zu verzichten. 

Bienenstöcke in den armenischen Bergen
Bienenstöcke in den armenischen Bergen

Manchmal waren unsere Begegnungen mit der armenischen Tierwelt auch mit kleineren Blessuren verbunden. Eine andere Offroad-Tour unternehmen wir mit unserem Mietwagen, Michael bewältigt schätzungsweise 25 Kilometer Staubpiste durch die armenischen Berge ebenso souverän. Die Strecke ist traumhaft, gleichzeitig aber nicht so einsam wie gedacht. Bald überholen wir einen Mercedes SUV mit deutschen Touristen in der Zigarettenpause – vermuten wir zumindest anhand des Deutschland-Trikots des Fahrers. Auch zwei Mountain-Biker lassen wir zurück. Oben auf der Hochebene kommt uns sogar eine ganze Gruppe von Extrem-Bikern auf Liegerädern aus Tschechien entgegen – entsprechende Flaggen an ihren Gefährten bezeugen ihre Herkunft. Zwischendurch halten wir an, weil ich Bienenstöcke entdecke, sogar komplett mit Imker – Bienen und deren Erzeugnisse gehören nämlich auch zu meinen 111 Gründen. Wieder fotografieren Michael und ich gemeinsam, Michaela hält dabei einen Sicherheitsabstand. Das war eine gute Idee, denn bald wird Michael prompt überm Auge von einer Biene gestochen. Doch Hilfe naht. Der Imker lädt uns zu Kaffee oder Wodka ein – diesmal entscheiden wir uns nur für Ersteres – und seine Frau versorgt den Stich sofort mit einem Gel. Ihre Hütte neben den Bienenstöcken ist sehr gemütlich und hat alles, was man im Sommer in den Bergen braucht, inklusive einem Gewehr neben der Tür, gegen die Bären, wie uns der Imker erklärt. Und sein Zigarettenrauch hält die Bienen auch noch von der Hütte fern. 

Lastiver Resort
Lastiver Resort

Eine zumindest potenziell noch gefährlichere Begegnung mit der armenischen Tierwelt überstehen wir zum Glück vollkommen unbeschadet. Unsere Route führt uns in die Provinz Tavush im Nordosten Armeniens, die ich außer von Dienstreisen oder der Durchfahrt nach Georgien ansonsten noch recht wenig kenne. Dabei entdecken wir nicht nur eine wunderbare Natur, die Michaela und mich in Erinnerungen an unsere früheren gemeinsamen Toskana-Urlaube schwelgen lässt. Das Hotel, in dem wir zwei Nächte lang wohnen, hat auch einen Pool mit herrlicher Terrasse und Panorama-Blick übers Tal zu bieten. Als wir dort nachmittags nach der anstrengenden touristischen Arbeit Erholung suchen, wird es jedoch erst noch mal aufregend. Michaela und ich begutachten die Liegen neben dem Pool im Hinblick darauf, welche die schönste Aussicht bietet, als Michael hinter uns meint „Hier solltet Ihr Euch nicht hinlegen, da ist eine Schlange.“ Während wir nach einem kurzen Kontrollblick schnell das Weite suchen, macht Michael noch in aller Ruhe Beweisfotos, die Michaela in noch größere Panik stürzen. 

Derweil stürze ich nach drinnen in die Poolbar und gebe dem Kellner Bescheid. Der kann erst kaum glauben, was ich ihm sage. Als er jedoch durch die Scheibe die aufgeregten Gäste sieht – neben uns noch ein russisches Pärchen, sie in Panik, während auch er Fotos macht – glaubt er mir sofort und ruft Verstärkung. Zu fünft, drei armenische Angestellte und die beiden männlichen Gäste, umkreisen sie mit diversen Gerätschaften die Schlage, bis diese sich schließlich davon überzeugen lässt, ihr vorübergehendes Versteck in einem Korbmöbel aufzugeben und die Terrasse nach unten in Richtung Abhang zu verlassen. Zum Angriff übergegangen ist sie jedoch glücklicherweise nicht. Denn als ich abends einem armenischen Freund, einem Zoologen, Michaels Foto schicke, schreibt er mir zurück, was wir beobachtet haben: Die Bunte Zornnatter, eine der Giftschlagen, die im Kleinen Kaukasus heimisch sind. Tödlich ist ihr Biss nicht, wie uns Wikipedia verrät, aber eine Woche Schwellungen und Schmerzen hätten den Urlaub sicher mehr verderben können als ein Bienenstich. 

Petroglyphen bei Ughtasar
Petroglyphen bei Ughtasar

Wir haben also schon einen recht aufregenden Urlaub hinter uns, als wir zu der Tour aufbrechen, auf die ich mich am meisten freue, die aber auch besondere Herausforderungen birgt. Eindringlich warnt mein neuer Reiseführer davor, diese allein, ohne einheimische Fahrer, zu wagen und rät auch gesundheitlich eingeschränkten Reisenden gleich ganz davon ab. Die Rede ist von den steinzeitlichen Felszeichnungen rund um den Vulkan Ughtasar. Sie liegen auf ca. 3.000 bis 3.300 Metern Höhe und sind daher nur wenige Wochen im Jahr nicht von Schnee bedeckt. Und natürlich führen keine Straßen dorthin, noch nicht mal Schotterpisten. Doch ich habe so viel davon gelesen und die enthusiastischen Berichte meiner Freunde gehört, dass wir eine Tour dorthin buchen. Erst per Facebook, dann telefonisch stehe ich mit Hasmik in Kontakt, die solche Fahrten organisiert und jedes Detail genau vorbereitet, inklusive dem optimalen Treffpunkt an einer Tankstelle mit Klohäuschen und extra vegetarischem Mittagsimbiss für mich. Denn Restauration gibt es dort oben selbstverständlich auch nicht – nur ganz viel großartige armenische Natur. 

Buchanka
Buchanka

Von unserem Mietwagen steigen wir in einen sowjetischen Militärbus um, der für solche Touren immer noch am besten geeignet ist, wie uns Hasmik erklärt. Buchanka ist der Spitzname dieses Gefährts, das bedeutet „Brotlaib“ auf Russisch. Wie ein Kastenbrot, mit abgerundeten Kanten in einem etwas undefinierbaren Grün-Braun, sieht der Bus auch tatsächlich aus, ein treffender Name also. Darin schaukeln wir stundenlang durch Wiesen und Weiden nach oben, allerdings stehen wir zwischendurch doch einmal im Stau. An einer schmalen Stelle will eine Herde Kühe vor uns ebenfalls nach oben und im Gegensatz zu den Schmetterlingen lassen sie sich vom Hupen der Buchanka überhaupt nicht aus der Ruhe bringen. Die Zeit nutze ich, um mit Hasmik über Kühe zu plaudern – auch einer meiner 111 Gründe, wirklich! Die Herde sei recht weit weg vom Dorf und ziemlich weit oben, meine ich, fachmännisch mein neu angelesenes Wissen anwendend. Ja, erwidert Hasmik, die sich natürlich noch viel besser auskennt. Die Herde sei Teil eines Projekts der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit. Die armenischen Tierärzte haben armenische Kühe mit schweizerischen Rassen gekreuzt, durch künstliche Besamung. Auch die Tränken oben in den Bergen, wohin die Kühe gerade behände und zielstrebig ziehen, haben sie gebaut. Die Kreuzung hat offensichtlich gut geklappt, die Herde kommt uns recht munter vor. Nun fällt mir auch auf, dass diese Kühe etwas größer sind, als ich sonst armenische Kühe in Erinnerung hatte. Und Michaela erkennt an den Schnauzen der Tiere ebenfalls den schweizerischen Einschlag, denn sie war öfters im Urlaub in der Alpenregion unterwegs. Doppelt bis dreimal so viel Milch geben die so gekreuzten Kühe im Vergleich zu den armenischen Rassen, erklärt uns Hasmik – und fühlen sich offensichtlich in den armenischen Bergen pudelwohl. 

Weiter oben wird die Natur noch eindrucksvoller. Als wir eine Weile unter einer Kante mit spitzen Felsen entlang rumpeln, deutet Hasmik nach oben. Auf einigen der Spitzen sehen wir kleinere und größere Greifvögel hocken. Adler, Falken und sogar Geier sind dabei, meint sie. Von der Buchanka lassen sie sich übrigens nicht stören, offensichtlich sind ihre Beutetiere, nach denen sie Ausschau halten, viel interessanter als wir. 

Steinadler
Steinadler

Schließlich erreichen wir unser erstes Ziel, einen Bachlauf von Schmelzwasser in fast 3.000 Metern Höhe. Dieser ist gesäumt von schwarz-glänzenden Felsen, darauf finden sich Hunderte von steinzeitlichen Felszeichnungen. Wenn man die oberste, schwarze Schicht von diesen Felsen wegklopft, dann kommt ein helleres Gestein zum Vorschein. Dafür wurde Obsidian benutzt, der ebenfalls ganz in der Nähe zu finden ist, erklärt uns Hasmik. Vor allem die Umrisse von Bergziegen haben die ersten Jäger, Sammler und Hirten in der Jungsteinzeit hier oben in die Steine gehämmert, aber auch sich selbst als Jäger, die Bäche in Form von Zickzacklinien und geheimnisvolle Kreise, die vielleicht den Kosmos symbolisieren. Wir sind absolut fasziniert von diesem Erlebnis, das Natur und Kultur zusammenbringt.

Gipfel des Vulkans Ughtasar
Gipfel des Vulkans Ughtasar

Danach fahren wir noch ein Stück weiter, Hasmik möchte mit uns auf den „Normalen Vulkan“, so sein armenischer Name übersetzt, auf fast 3.200 Metern Höhe, damit wir uns die ganze Gegend von oben anschauen können. Das letzte Stück müssten wir allerdings laufen, meint sie, weil zwischendurch der Weg, den der Bus in einer weiten Schleife nach oben fahren würde, noch an einer Stelle von Schnee blockiert ist. Ausgerüstet mit Wanderstöcken nehmen wir daher auf direktem Weg den steilen Geröllhang in Angriff – und keuchen beim Aufstieg bald ohne Ende, bei der dünnen Luft dort oben. Michael wird es schwindlig und Michaela fühlt sich auch nicht so wohl, daher kehren sie auf halber Strecke wieder um. Doch ich soll weiter gehen, meinen sie, und Fotos für sie machen. Leider wird mir nicht schwindlig, ich japse nur nach Luft und kämpfe mich hinter Hasmik weiter den Hang hinauf. Wir sind gleich oben, es ist nicht mehr weit, wiederholt sie dabei immer wieder. Irgendwann ist sie tatsächlich schon hinter der Kuppe verschwunden und das Ziel nah. Da sehe ich plötzlich über mir von rechts das Dach der Buchanka vorbei fahren! Bin ich nun doch schon im Delirium? Ungläubig schleppe ich mich vollends nach oben, dort unterhält sich Hasmik schon mit dem Fahrer. Michaela und Michael hat er nämlich nicht dabei. Nachdem wir weg waren, hat er allein das Schneefeld erkundet, erst mit der Schaufel, dann mit dem Bus. Schließlich merkt er, dass der Schnee nicht so tief ist und er durchkommt, daher will er uns oben abholen. Dass Michaela und Michael umgedreht sind, hat er nicht bemerkt. Also fährt er wieder runter und sammelt die beiden ein. Schließlich sind wir oben alle vereint und genießen bei einer grandiosen Aussicht auf das vulkanische Hochland unseren Mittagsimbiss. Auf einer Länge von 14 Kilometern hat sich rund um den „Normalen Vulkan“ beim letzten Ausbruch des Nachbarvulkans die Lava ergossen und ist zu einem Geröllfeld erstarrt. Dahinter sehen wir weitere Vulkane, Bergwiesen, Seen, Dörfer und schneebedeckte Gipfel im Hintergrund. Der schönste dabei ist der Ughtasar, wo noch viel mehr Felszeichnungen zu finden sind – nur heute noch nicht, denn dort oben liegt immer noch Schnee. 

Michaela hatte mir zwischendurch erzählt, dass einige ihrer Freunde und Bekannten sie für ziemlich verrückt erklärt haben, dass sie sogar ein zweites Mal nach Armenien fährt, anstatt einen „normalen“ Urlaub zu buchen. Und sie freute sich zwar auf mein Programm, war sich aber sicher, dass dies auch ihre letzte Reise in den Kaukasus werden würde. Doch nach den Begegnungen mit Offroad-Armenien sind wir uns inzwischen alle drei sicher, dass wir nicht das letzte Mal dort waren - wo man Toskana, Schweiz und Island zusammen in einem Urlaub erleben kann.

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Kommentare: 1
  • #1

    Anne-KAthrin Otte (Donnerstag, 18 Juli 2019 12:16)

    Toll! Wir müssen unbedingt bald zusammen essen und von diesen schönen Ländern erzählen.

    Viele Grüße
    Anne-Kathrin