Geheimnisvolles Klostergeschehen

Texte aus der Schreibwerkstatt

Eingang zum Klosterhof St. Afra in Meißen
Klosterhof St. Afra in Meißen

Es ist erst Februar, die Zeit bis zur nächsten Armenien-Reise im Mai muss überbrückt werden – mit Reisen, Schreiben und Fotografieren, um nicht aus der Übung zu kommen. Dafür besuche ich vom 17. bis 19. Februar eine Schreibwerkstatt mit dem Titel „Geheimnisvolles Klostergeschehen“ der Evangelischen Akademie Sachsen. Tagungsort ist der Klosterhof St. Afra in Meißen. In drei Tagen schreibe ich dort vier ganz unterschiedliche Texte rund um das Klosterleben.

 

Inspirationen holen wir uns aus der spannenden Anlage, in der wir gemütlich tagen, lecker essen, gut schlafen und die auch noch am dritten Tag überraschende Ecken bereithält. Dazu kommen Anregungen unserer Trainerin Jackie Gillies, die für uns einige Texte zur Geschichte des ehemaligen Klosters zusammengestellt hat. Nicht zuletzt sorgt die bunte Gruppe für eine kreative Stimmung. Alte Hasen und Neulinge, Einheimische und Auswärtige, Jung und Alt schauen aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf unsere Schreibaufgaben.


Freitag, den 17. Februar 2023

Auf dem Weg hierher

Auf dem Bahnsteig in Dresden Neustadt
Bahnhof Dresden Neustadt

Kaum sitze ich in der S-Bahn nach Meißen, kommt auch schon der Kontrolleur auf mich zu. Gut, dass ich noch an das Handy-Ticket gedacht habe. Kein Wunder, so leer wie der Zug ist kann er jeden Gast gleich beim Einstieg begrüßen.

 

Ich erinnere mich daran, wie ich vor vielen Jahren mal mit einer Freundin von Leipzig nach Chemnitz fuhr, auch damals staunte ich über die leeren Züge. So ist es immer noch. Im Rheinland sind die Züge praktisch immer voll, der Neun-Euro-Sommer eine Katastrophe. Ob dieser Zug von Dresden nach Meißen letzten Sommer voller war?

Beginn der St. Afra Treppe in Meißen
Beginn der St. Afra Treppe

Es beginnt zu dämmern, im Halbdunkel steige ich in Meißen Altstadt aus dem Zug. Jetzt laufen doch ein paar Leute mit mir über den Bahnsteig, ich folge ihnen und finde den Ausgang. Auf der Straße weist mir Google Maps weiter den Weg. Vor fast vier Jahren war ich das erste Mal hier und kann mich nur noch dunkel an den Weg zum Kloster St. Afra erinnern. 

 

Laut klappert mein Rollkoffer über das Kopfsteinpflaster, schwer zerrt der Rucksack an meinen Schultern. An einer Kirche gehe ich erst in die falsche Richtung, muss umdrehen und den steilen Hang wieder hinunter. Je dunkler es wird, umso deutlicher wird meine Erinnerung. Diese Treppe hinauf? Leider ja, zeigt eine genaue Kontrolle der Karte. „St. Afra Treppe“, das verheißt nichts Gutes.

 

Irgendwann stehe ich keuchend, trotz Abendkälte verschwitzt, im Dunkeln und es fällt mir plötzlich wieder ein: Genau an dieser Stelle habe ich seinerzeit im Mai 2019 auch geflucht, wie konnte ich das nur vergessen?

 


Samstag, den 18. Februar 2023

Sorgfalt in der Kargheit

Kreuzgang St. Afra, Meißen
Kreuzgang St. Afra

Nach diesem Motto soll sich der in DDR-Zeiten über Jahrzehnte hinweg marode gewordene Klosterhof St. Afra in Meißen in den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts wieder in einen schönen Lernort verwandeln. Zuletzt war die Anlage als Landwirtschaftsschule genutzt worden, nun soll die Evangelische Akademie Sachsen einziehen. 

 

Im Laufe der Jahrhunderte hatten die alten Gemäuer des Klosters viele Bewohner erlebt, angefangen von den Augustiner Chorherren im Mittelalter. Im 16. Jahrhundert schlossen sich diese fast alle der Reformation an, der Klosterbetrieb wurde eingestellt. Stattdessen richtete der sächsische Landesherr 1543 die Fürstenschule St. Afra ein. Die Betreiber des Schulbetriebs wechselten, auch die Art und Weise, wie man mit der Anlage umging. Genau 400 Jahre nach Gründung wird die Fürstenschule unter den Nationalsozialisten „gleichgeschaltet“ und hört faktisch auf zu existieren. Ab den Fünfzigerjahren zieht eine sozialistische Hochschule für Landwirtschaft ein. Der Architekt, der seinerzeit umbaute, kannte sich vor allem mit Luftschutzkellern aus und betonierte daher die alten Tonnengewölbe aus.

 

Heute im Kreuzgang unter Glas: Mittelalterliche Grabplatte
Heute im Kreuzgang unter Glas: Mittelalterliche Grabplatte

Umbauen, umfunktionieren und umwidmen erlebte das alte Gemäuer in den letzten Jahrhunderten also immer wieder. Ein Teil des ursprünglichen kleinen, heimeligen Kreuzgangs des Klosters wurde zunächst als Kapelle genutzt und diente später den Schulkindern der Fürstenschule als Speisesaal. In der DDR-Zeit zieht eine Gaststätte ein, die sich zwar „Monasterium“ nennt, aber sonst mit der Vergangenheit wenig respektvoll umgeht. So dekoriert man die Bar mit einer mittelalterlichen Grabplatte aus der St. Afra Kirche.

 

An einem sonnigen Tag im Juni 1992 beginnt die Sanierung der alten Gemäuer. Und da das Dach dicht ist, wie eine erste Begehung zeigt, sind der Leiter der Evangelischen Akademie Sachsen und seine Mitstreiter an diesem Tag zuversichtlich für den anstehenden Umbau. 

 

In den nächsten Monaten wird geplant. Das Ziel ist es, möglichst viel von der alten Bausubstanz nicht nur zu erhalten, sondern auch sichtbarer zu machen als zuvor. Etwa, indem mittelalterliche Mauern wieder freigelegt werden. Die Moderne soll sich schlicht, transparent und poetisch dazugesellen. Dies tut sie etwa in Form von Glastüren in dunkelgrauen, schlichten Metallrahmen, ebensolchen Lichtleisten und Holz- und Metalltüren, die sich nicht aufdrängen, sondern sich harmonisch in die weiß gekalkten Klostermauern einfügen und erst auf den zweiten Blick verraten, dass sie eigentlich recht neu sind. 

Barbara-Kapelle, St. Afra, Meißen
Barbara-Kapelle

Das Historische und das Moderne kommen nun in der Barbara-Kapelle im Kreuzgang wieder zusammen. Früher drehten hier die Chorherren ihre Kreise, Schulkinder löffelten ihr Mittagessen, Zecher scharten sich um die Bar. Nun bilden ein modernes Jesus-Bildnis und eine elegante Hochkonsole den Altar-Bereich, umgeben von kleinen, luftigen grauen Holzhockern. Im Mittelalter wurden Chorgestühle in Kirchen und Klöstern aus Eichenholz geschnitzt, Kunstwerke für die Ewigkeit und ebenso monolithisch unbeweglich. Heute können sich die Betenden im Kreis gruppieren, auf den Hockern den Raum unmittelbar erfahren. Karg und schlicht wirken die grauen Hocker auf dem rotbraunen Ziegelboden zwischen den weißen Mauern. Gleichzeitig sorgfältig ausgesucht, um sich farblich und in der Form harmonisch in diesen Ort einzufügen. Filzpolster auf den Hockern laden dazu ein, ein wenig zu verweilen und die stille Kraft der Klostermauern auf sich wirken zu lassen. 

 

Sorgfalt in der Kargheit, der Grundgedanke der Modernisierung von St. Afra, zeigt sich nirgendwo harmonischer als in dieser Kapelle.

Barbara-Kapelle, St. Afra, Meißen
Barbara-Kapelle

Quelle: Der St. Afra-Klosterhof in Meißen – Texte zur Geschichte und Neugestaltung als Evangelische Akademie, zusammengestellt von Matthias Flothow, erweitert und neu herausgegeben von Peter Vogel, Meißen 2005


Severin und der Rheinwein

Lageplan vom Klosterhof St. Afra, Meißen
Lageplan Klosterhof St. Afra

Befreit springt Severin über den Klosterhof. Heute hat er als Erster die vermaledeiten unregelmäßigen griechischen Verben der neuen Lektion fehlerfrei aufsagen können. Als Belohnung darf er nun dem Magister Rivius einen Krug Wein holen gehen, während die anderen Jungen weiter pauken. Ein Fass vom besten Rüdesheimer Wein hat Rivius im Weinkeller der Fürstenschule in Meißen einlagern lassen, als Erinnerung an seine Studienzeit am Rhein.

Fröhlich hüpft Severin von Stein zu Stein und freut sich über die kleine Auszeit, die ihm sein flinkes Hirn heute beschert hat. Bald ist er im Keller der Probstei angekommen und erkennt gleich das große Weinfass zwischen all den kleinen Bierfässern. Schäumend plätschert der Wein in den Krug. Dem schweren Duft kann er nicht widerstehen, seine gehobene Stimmung nach dem Griechisch-Triumph trägt sicherlich auch dazu bei. Severin nippt ein wenig am Krug. Der erste Schluck überwältigt ihn fast, so stark sind die Aromen, Gewürze, Holzfass und Trauben mischen sich im Mund. Noch ein Zug, dann aber zurück, bevor Magister Rivius misstrauisch wird, sagt er sich. Er will gerade zum Ausgang, da entdeckt er hinten im Dunkeln eine weitere Treppe, die auch nach oben führt. Eine Abkürzung? Der Wein weckt seine Abenteuerlust, mutig klettert er die Stufen hinauf. Es geht ums Eck, ganz finster wird es nun, sein kleines Öl-Lämpchen flackert in der Zugluft. Noch weiter führen die Treppen hinauf. Hier komme ich schneller zurück, glaubt er, dann fällt meine Trinkpause bestimmt nicht auf. Entschlossen öffnet er die Tür am oberen Ende der Treppe und hofft auf einen Ausgang. Stattdessen stolpert er in einen kleinen quadratischen Raum, gefüllt mit einem großen Tisch und schweren Holz-Sesseln darum herum. Der Raum riecht nach saurem Wein, Männerschweiß, ganz viel Rauch und altem Fett. Gegenüber der kleinen Kellertür, durch die er hereinkam, führt ein stattlicheres Portal hinaus, in die Gänge der Probstei, wo die Magister wohnen.

Hier drin müssen sich die Magister wohl die Abende vertreiben, wenn wir weiter büffeln oder schlafen gehen, denkt sich Severin. Denn das hat ihm die Dienstmagd Agnes verraten. Manchmal treffen sich die beiden heimlich hinter dem Knabenhaus, tauschen Naturalien aus und kommen sich auch sonst näher. Agnes ist froh, dem jungen Severin erzählen zu können, was sie mit den alten Magistern erleben muss. Nun kann er noch mehr mitfühlen, was sie in diesem stickigen Hinterzimmer des Nächtens bisweilen mitmacht. Ein paar Momente steht er nur traurig da und schaut sich um. 

Irgendwann holt ihn sein Auftrag wieder ein. Nach einem letzten stärkenden Schluck Rheinwein wagt er sich aus der Kammer, schleicht sich durch die dunklen Flure der Probstei, verirrt sich nur ein klein wenig, bis er schließlich wieder auf dem Klosterhof landet. 

 

„Wo warst Du denn nur so lange Du Nichtsnutz!“ herrscht ihn Magister Rivius an. „Aber Herr, ich wollte doch nur keinen Tropfen Eures kostbaren Weins verschütten.“ entgegnet Severin, stellt den Krug vorsichtig auf das Lehrerpult und schleicht sich zurück in seine Bank. Da wird er heute Abend im Mondschein Agnes aber viel zu berichten haben!

Ausgang aus dem Klosterhof St. Afra

Sonntag, der 19. Februar 2023

Von der inneren und der äußeren Freiheit

Freiheit

Vor ein paar Jahren war ich zum Auszeitwochenende in einem buddhistischen Kloster in der Eifel. Die Auszeit sollte uns stärken für den stressigen Alltag. Zur Inspiration erzählt uns unser Referent eine Geschichte von einem KZ-Häftling, der das Lager nicht nur überlebt, sondern es sogar schafft, umgeben von äußeren Zwängen, die man sich extremer kaum vorstellen kann, sich seine innere Freiheit zu bewahren. Er findet diese in vielen Dingen. Natürlich in seinen Gedanken, wie es das alte Studentenlied besingt. Aber auch etwa darin, welchen Schuh er zuerst zubindet und mit welchem Bein er als erstes aus dem Bett steigt. Geistig frei und innerlich unversehrt überlebt er das KZ. 

Dieses Bild hat uns damals alle in der Gruppe sehr inspiriert. In unserer Haltung zu den äußeren Zwängen können wir unsere innere Freiheit finden und bewahren. Wenn wir es kritisch hinterfragen, dann hat das, was wir heute in unserer modernen Wohlstandsgesellschaft als Zwänge erleben, mit wirklichen Einschränkungen der äußeren Freiheit oft wenig zu tun.

Das kann bedeuten, dass sich viele Menschen selbst Fesseln anlegen, ohne sich dessen bewusst zu sein. Fesseln, erfolgreich im Beruf zu sein, auch wenn die innere Freude an der Arbeit fehlt. Fesseln, die Erwartungen von Familie und Gesellschaft zu erfüllen und andere glücklich zu machen, in dem man selbst eine Familie gründet und Kinder bekommt, auch wenn die innere Sehnsucht eine ganz andere ist. Fesseln von Leistung, Konformität, körperlich und geistig, die sich so lange gut, richtig und wichtig anfühlen, bis irgendwann im Leben vielleicht der Moment kommt, in dem man einen Blick auf seine eigenen Fesseln erhaschen kann. 

 

Dieser Moment kann ganz zufällig eintreten, ausgelöst etwa durch ein außergewöhnliches Ereignis. Oder wir führen ihn bewusst herbei, suchen die Reflexion in Auszeiten oder Zufluchten. Wenn es dann gelingt, dem losen Faden einer unserer Fesseln zu folgen und nicht mehr los zu lassen, dann können wir diesen Faden in die Hand nehmen und zu unserer inneren Freiheit finden. 

Klosterhof St. Afra, Freiheit 16, 01662 Meißen
Klosterhof St. Afra, Freiheit 16, 01662 Meißen

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Kommentare: 1
  • #1

    Ingrid Sch. (Sonntag, 16 April 2023 16:51)

    Hallo Silvia,

    das gefällt mir sehr.

    Du bist eine echte Reiseautorin.
    Viele Grüße
    von der Reisetante Ingrid aus Dresden, die auch bei der Schreibwerkstatt war.,