Yerevan im Advent

Heute ist nicht nur der zweite Advent, ich erlebe nun auch schon zum zweiten Mal die Adventszeit in Yerevan. Allerdings ist mir in diesem Jahr noch bewusster als 2015, dass in dieser ganz besonderen Zeit hier doch so Einiges anders ist als in Deutschland.

Schneeflöckchen, weiß Röckchen …

Das Auswärtige Amt hat in seinem Facebook-Adventskalender am 2. Dezember 2016 auch ein Foto aus Armenien gezeigt, dieses stammt aus der letzten Silvesternacht (von 2015 auf 2016), als es 60 Stunden am Stück geschneit hatte – was ich seinerzeit total verpasst habe. 

Eines wird daher gleich klar: Die Chancen nicht nur auf weiße Weihnachten, sondern auch auf eine verschneite Vorweihnachtszeit stehen hier bedeutend besser als in Deutschland. So hat es im letzten Jahr Anfang Dezember in Yerevan das erste Mal so richtig geschneit, dieses Jahr sogar schon Anfang November.

Diejenigen, die mich ein wenig kennen, werden sich jetzt fragen, wie ich das aushalte, so verfroren, wie ich bin. Nun, minus fünf Grad in der trockenen armenischen Kälte sind bedeutend angenehmer als plus fünf Grad im schmuddelig-kalten Rheinland. Mir fällt hier wieder ein, was meine Finnisch-Lehrerin vor vielen Jahren erzählt hat: Nämlich, dass sie in Bonn im Winter mehr friert als in Helsinki. Konnte ich damals nicht so richtig glauben, jetzt leuchtet mir das ein.

Advent, Advent, ein Lichtlein brennt …

Nicht nur mit dem Schnee, sondern auch mit der festlichen Beleuchtung der Hauptstraßen wird hier schon recht früh begonnen. Anfang Oktober sind die Bäume noch grün, dazwischen glänzen abends schon die Neonsterne.

Dann passiert aber erst mal mehrere Monate lang fast nichts mehr. Keine Spekulatius-Türme und Lebkuchen-Häuschen in den Supermärkten, keine weihnachtlich dekorierten Schaufenster. Erst Ende November entdecke ich die ersten Läden, die ernsthaft auf Weihnachtsdeko umstellen. Dabei mischen sich manchmal noch die sommerlichen Schmetterlinge an der Decke mit den Christbäumen darunter. Und in den Supermärkten in der Innenstadt macht die (Platz-)Not erfinderisch. Die Gänge sind dort oft so eng – und natürlich meist auch voller Kunden – dass die saisonalen Displays, um die man in Deutschland monatelang mit dem Einkaufswagen Slalom fahren muss, hier praktisch nicht zu finden sind. Stattdessen werden die Regale einfach umgeräumt, das normale Sortiment muss zusammenrücken und daneben zieht dann die Saisonware ein. So finden sich ab Ende November neben den Nudeln Christbaumkugeln und Kerzen und neben den Putzmitteln Weihnachtsmänner und Schneekugeln. Wo sich doch noch Platz findet, da wird dann ein Weihnachtsbaum aufgebaut. Und wenn es drinnen nicht mehr reicht, dann eben draußen vor der Tür.

Am Weihnachtsbaum die Lichter brennen …

Dass der weihnachtliche Deko-Wahnsinn langsam aber sicher auch in Yerevan zunimmt, fällt aber schon auf: Viele Leute haben den Eindruck, dass Yerevan im Dezember immer bunter wird. Ein Beispiel ist der Weihnachtsbaum vor dem „flagship store“ von Grand Candy, einer großen (und leckeren) armenischen Süßwaren-Marke: War dieser im letzten Jahr noch kleiner und traditioneller, so hat er in diesem Jahr nicht nur an Größe zugenommen, sondern auch an Leuchtkraft – incl. bunten Laserpunkten, die den Baum umkreisen.

Zudem wird das Weihnachtsbaum-Thema hier kreativ weiterentwickelt, etwa zum Bohnenbaum im Café, zum Bücherbaum in der Universität oder zum Flaschenbaum beim Winzer.

Und seit einigen Jahren gibt es auf der Glitzermeile Northern Avenue auch einen Weihnachtsmarkt, der schöne Dinge und guten Glühwein verkauft, wenn er auch mit ca. 30 Buden ziemlich klein ist. Dieses Jahr öffnet er erst am 10. Dezember. Dafür haben die Yerevaner aber auch bis zum armenischen Weihnachten am 6. Januar Zeit, den Markt zu besuchen.

In der Weihnachtsbäckerei …

Das ist das traurigste Kapitel für mich hier in der Vorweihnachtszeit. Keine Lebkuchen und Plätzchen weit und breit. Ich stöbere seit Wochen durch die Läden und durchwühle die Regale. Es gibt jede Menge weihnachtliche Schokolade zu kaufen, von Milka, Lindt und natürlich die gesamte Nestlè Palette, auch Weihnachtsmänner und sogar Adventskalender habe ich gesichtet – aber eben kein Gebäck …

Meine letzte Rettung war dann der Weihnachtsmarkt der Deutschen Botschaft Eriwan am 2. Dezember. Ich hatte vorher schon gerüchteweise gehört, dass es auf diesem Markt auch Lebkuchen geben sollte – aber davon zunächst keine Spur. Schließlich kam am späten Nachmittag die erlösende Durchsage: Die Lieferung mit Süßigkeiten aus Deutschland sei gerade vom Flughafen zum Markt unterwegs! Endlich …

Am nächsten Morgen bestand dann mein Frühstück aus Milchkaffee mit Lebkuchen – ich glaube, es ist schon lange her, dass mir Lebkuchen so gut geschmeckt haben – ganz intensiv nach Nelken und Zimt, dazu die leckere dunkle Schokolade darum herum …

Nun singet und seid froh …

Zu guter Letzt schließt sich für mich in diesem Jahr der Kreis der Adventstraditionen von meiner schwäbischen Heimat nach Yerevan. Dort habe ich nämlich über zehn Jahre lang im Kinderchor, später in der Jugendkantorei, gesungen und von Ende August bis Weihnachten jedes Jahr Dutzende von Weihnachtsliedern und oft auch noch ein Oratorium einstudiert. Seit Anfang Oktober singe ich nun hier in einem bunten Haufen von Damen aller Nationen und aller Altersgruppen erneut Weihnachtslieder. Obwohl die Mehrheit der Damen gesanglich nicht ganz so geübt ist, proben wir von Anfang an zwei- bis dreistimmig und in vier Sprachen: Deutsch, Englisch, Latein und Armenisch. Einige Profis in der Truppe und vor allem unsere ebenso professionelle wie energische Chorleiterin schaffen es, daraus in zwei Monaten einen richtigen Weihnachtschor mit einem keinen, aber feinen Repertoire zu formen.

Allerdings muss ich ehrlich zugeben, dass ich daran bis zu unserem ersten Auftritt bei eben jenem oben genannten Deutschen Weihnachtsmarkt nicht geglaubt hatte, zu chaotisch verlief die eine oder andere Probe, so dass zuletzt sogar unsere Chorleiterin kurz davor war, die Geduld zu verlieren.

Beim Einsingen vor dem ersten großen Auftritt kommen dann einige viel zu spät, andere haben– mal wieder – ihre Noten vergessen. Bei jedem Lied geht etwas schief, einige singen statt summen, andere verpatzen den Einsatz – auch ich – oder treffen den Ton haarscharf nicht ("listen to each other, ladies!"). Die Nervosität steigt …

Aber was soll ich sagen, beim Auftritt selbst klappt es dann viel besser als gedacht. 

Dass die jeweiligen Nicht-Muttersprachler die deutschen bzw. armenischen Texte immer noch nicht richtig aussprechen können, fällt gar nicht mehr auf, dafür fangen alle zusammen an und kommen am gleichen Ende wieder raus. Hier ein paar Videos unserer Darbietungen:


Nach einigen recht gelungenen Liedern waren unsere beiden Solistinnen sogar so souverän, mit einem vorübergehenden Ausfall der Technik durch gleichzeitiges Umbauen und Weitersingen fertig zu werden. Dafür gab es dieses Lied am Ende noch einmal – diesmal technisch einwandfrei – als Zugabe.

Die kleidsamen Mützen, die man auf den Bildern sieht, fand ich übrigens im Supermarkt versteckt im untersten Regal, gegenüber von Kaffee und Tee …


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