Ab in den Süden!

Der inneren Stimme nach

Als ich zu einem Ausflug in den Süden eingeladen wurde, war ich zunächst skeptisch: Die Wettervorhersagen waren eher trübe, andere Pläne längst geschmiedet und die Aussicht darauf, an einem Samstag um halb 7 Uhr morgens aufzustehen, gefiel mir ebenso wenig. Aber eine innere Stimme riet mir, dies alles zu ignorieren und mitzufahren.

Als wir dann Samstag morgens aus Yerevan rollen, regnet es immer noch stetig vor sich hin. Ich wundere mich immer wieder, wie radikal sich die Szenerie nur wenige Kilometer hinter der Hauptstadt ändert und wir die Moderne hinter uns zu lassen scheinen. Zunächst fahren wir noch Autobahn und kommen am unheimlichen Dreiländereck Armenien – Türkei – Aserbaidschan vorbei. Danach windet sich die Straße in die Höhe und majestätische Bergketten, weite Hochebenen und tiefe Schluchten werden nun die nächsten Stunden unsere ständigen Begleiter sein.

Unser erster Halt ist Areni, das bekannteste Weindorf Armeniens. Und glücklicherweise ist heute auch noch Weinfest! Statt Federweißer und Bierbänken empfangen uns hier liebevoll dekorierte Marktstände mit Wein in Colaflaschen, getrockneten Früchten, Nüssen, Selbstgebackenem und vielem mehr. Während die letzten Regentropfen fallen probiere ich schon mein erstes Becherchen Areni-Wein. Geht auch um 10 Uhr morgens, wie ich feststelle. Glücklicherweise findet sich am anderen Ende des Ortes eine Bäckerei, bei der wir Brot und armenischen Kuchen kaufen, damit der Wein nicht alleine bleibt.

Während ich noch am Kuchen knabbere, biegen wir von der Hauptstraße ab in eine beeindruckende Schlucht und nähern uns dem nächsten Reiseziel: Das Kloster Noravank. Auf dem Weg durch die Schlucht haben wir die Straße für uns alleine, am Parkplatz unter dem Kloster ändert sich dies schlagartig, Noravank ist eines der beliebtesten Ausflugsziele Armeniens.

Der Anblick des Klosters auf einem Vorsprung gegenüber von roten Felsen ist atemberaubend. Noch aufregender gestaltet sich die Besichtigung der Klosterkirche. Bestehend aus einer Unter- und einer Oberkirche, kann man den oberen Teil nur durch einen schmalen, steilen, treppenartigen Mauervorsprung erreichen. Ich nähere mich zielstrebig der Treppe, als mich mein Begleiter warnt: Herunter zu kommen sei noch schwieriger als hoch. Was soll ich sagen, er hatte recht!

Die Zitterpartie hat sich trotzdem gelohnt, kaum bin ich oben, hilft mir eine junge Armenierin die letzten Stufen hinauf. In der Oberkirche bildet sie dann zusammen mit anderen Frauen einen Halbkreis und sie stimmen ganz spontan armenische Kirchenlieder an. Immer wieder ein wenig nach Melodie und Worten suchend, tasten sie sich durch die Lieder, die ihnen in den Sinn kommen. Ihre improvisierte Darbietung passt zu der nur teilweise renovierten Kirche ganz wunderbar.

Inzwischen ist es Mittag geworden und die Sonne strahlt vom Himmel. Nach diesen ersten Eindrücken muss dringend eine Stärkung her. Diese finden wir in einem Ausflugslokal unterwegs, das aus Lauben zwischen einem Bach und einem Fischteich besteht. Natürlich bestellen wir an diesem Ort daher Ischchan, die armenischen Forellen. Die Zubereitung beginnt damit, dass der Koch sich mit dem Kescher an den Teich stellt und hineinspuckt. Die ersten zwei Fischlein, die sich dadurch anlocken lassen, landen in seinem Kescher und nach der Zwischenstation Grill wenig später auf unseren Tellern. Sehr lecker!

Es geht weiter nach Süden, über eine Pass-Straße in 2 300 Metern Höhe. Wir begegnen wenigen Fahrzeugen, dafür umso mehr Vieh. Nach der Beobachtung diverser Herden habe ich das Muster erkannt: Die Vorhut bilden einige wenige Ziegen. Daraufhin folgen Hunderte von Schafen, hinten vom Schäferhund bewacht. Den Abschluss bilden dann bisweilen einige Rinder, der Bauer reitet auf dem Pferd nebenher.

Inzwischen habe ich erfahren, dass dies an der Jahreszeit liegt. Anfang Oktober werden die Schafherden von den Bergen zurück in tiefere Regionen gebracht.

Unser nächstes Ziel suchen wir zunächst vergeblich. Unser armenischer Freund kennt zwar seine Heimat ansonsten bestens, aber diesen Ort, den Schaki Wasserfall, hat er auch noch nie besucht. Er fragt sich durch und erhält widersprüchliche Antworten, Hinweisschilder gibt es auch keine.

Zunächst bekommt er im Dorf die Route erklärt. An der uns beschriebenen Abzweigung könnte man dem Fluss folgen, eigentlich eine gute Idee, wenn man einen Wasserfall sucht. Doch der LKW-Fahrer, der mit seinem Fahrzeug an der Abzweigung steht, hat noch nie von einem Wasserfall gehört und wir drehen wieder um, zurück auf die Hauptstraße. Wenig später kommt uns ein Auto entgegen. Der Junge, der uns im Dorf die Route beschrieben hatte, streckt seinen Kopf aus dem Autofenster. Warum fahrt ihr weiter, ihr seid an der Abzweigung schon vorbei, ruft er uns herüber. Also wieder umdrehen und nochmal die Abzweigung nehmen. Diesmal fahren wir weiter. Der Schotterweg folgt in der Tat dem Fluss. Aber statt zum Wasserfall kommen wir zunächst zu einem Wasserwerk. Das Tor steht offen, wir fahren ins Gelände. Gepflegte Rasenflächen umrahmen den Bau, der mich stark an deutsche Wasserwerke erinnert. Eine Gruppe von Bauern mit Sensen kommt uns entgegen. Sie kennen sich aus, wir sind richtig, sagen sie uns. Schon kurz nach dem Wasserwerk erreichen wir den Parkplatz. Nun sind es nur noch wenige hundert Meter zu Fuß am Bachlauf entlang. Wir hören den Wasserfall, bevor wir ihn sehen. Wir biegen um einen Felsvorsprung herum und plötzlich ragt die 18 Meter hohe Felswand vor uns auf! 

Es rauscht ganz ordentlich, wie ich finde. Aber die Bauern, die wir auf dem Rückweg wieder treffen, erklären uns, dass wir viel weniger Wasser sehen, als eigentlich vorhanden ist. Der Rest fließt durch Rohre in das besagte Wasserwerk und erzeugt dort Strom.

Unser nächstes Reiseziel ist umso älter und bekannter, die Stätte Zorakarer, auch Karahunj genannt, aus der Bronzezeit.

Was diese Stätte eigentlich mal war, ist umstritten. 2004 hat das armenische Parlament beschlossen, sie als Karahunj Observatorium zu bezeichnen, also ein bronzezeitlicher Steinkreis zur Beobachtung der Gestirne. Andererseits haben u.a. Wissenschaftler der Universität München die Stätte untersucht und sind zu dem Schluss gekommen, dass es sich um ein Gräberfeld handeln muss, das später in der Römerzeit zur Stadtfestung ausgebaut wurde.

Beeindruckend und einzigartig ist die Stätte in jedem Fall. Auf einer leeren Hochebene gelegen, umgeben von Bergketten, pfeift der Wind zwischen den Steinen. Viele der insgesamt über 200 Steine sind am oberen Ende mit Löchern durchbohrt. Ob sie nun der Observation der Sterne oder ganz profan Transportzwecken dienten, wer weiß.

Wir wandern an den Steinreihen entlang, umkreisen die Felsen. Der Ort erscheint uns noch rätselhafter und geheimnisvoller, je länger man dort verweilt.

Schließlich ziehen wir zusammen mit noch mehr Schafherden weiter nach Süden zum letzten Ziel unserer Reise: Tatev.

Tatev war im Mittelalter nicht nur eines der wichtigsten und größten Klöster in Armenien, sondern auch eine Universität. Es liegt spektakulär am Rande einer tiefen Schlucht.

Heutzutage kann man sich aussuchen, welchen Nervenkitzel man erleben möchte: Die Straße zum Kloster durch die Schlucht hinunter und wieder hinauf kurven oder in der längsten Seilbahn der Welt hinüber schweben. Am höchsten Punkt sieht man von der rundum verglasten Gondel aus 320 Meter in die Tiefe hinab.

Zur Sicherheit haben wir gleich Beides ausprobiert. Die Gondel bewegt sich gefühlt im Zeitlupentempo über zwei Schluchten hinweg zum Kloster hinüber. Trotzdem schwebt man nur einige Minuten über dem Abgrund.


Mit dem Auto schlängelt man sich ewig von Kurve zu Kurve und kann sich eher ein ganz klein wenig vorstellen, wie es im Mittelalter gewesen sein muss, wenn Reisende diesen Ort erreichen wollten.

Auf dem Rückweg vom Kloster nach Goris, wo wir übernachten möchten, wird es schon dunkel. Die wenigen Hinweisschilder verschwinden nun in der Nacht. Aber Google Maps funktioniert auch hier auf der armenischen Landstraße und wir können gewiss sein, in die richtige Richtung zu fahren.

In Goris angekommen gestaltet sich die Suche nach einem Restaurant zunächst etwas schwierig. Eine ausführliche Umfrage bei den Einheimischen führt dann schließlich doch noch ans Ziel. Während wir hungrig und erschöpft auf unser Essen warten, leistet uns eine noch hungrigere Katze Gesellschaft. Mehrere Versuche meiner Begleiter, sie davon abzubringen, bleiben erfolglos. Am Ende siegt die Katze, wir werfen ihr Fleischbröckchen und Fischskelette zu.

Mit vollem Bauch und ebenso vollem Kopf kommen wir schließlich wieder im Hotel an. Ich falle sofort in einen tiefen Schlaf. Nachts holt uns das schlechte Wetter wieder ein, es gewittert und schüttet wie aus Kübeln, aber ich bekomme nichts mehr davon mit …

 

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Kommentare: 3
  • #1

    Maike (Montag, 12 Oktober 2015 14:14)

    Wunderschöne Bilder! Scheint ein sehr amüsanter Ausflug gewesen zu sein. Und mit Viehzeug auf der Fahrbahn kennst du dich ja schon seit Indien bestens aus :-). Liebe Grüße aus LE!

  • #2

    Gerber (Montag, 12 Oktober 2015 16:46)

    Franz u. Walli, Montag 12. Oktober 2015
    Tolle Bilder - Beschreibung Deines Ausflugs in den "Süden" sehr
    anschaulich. Mit dieser Bergbahn wollten wir nicht unbedingt fahren,
    es fährt uns schon beim Zusehen in den Bauch - da ist Tirol wie wir
    sagen würden "Mäuse -Pipi"!
    Wir wünschen Dir weiterhin solche tollen Ausflüge - Viel Spaß !
    Liebe Grüße aus dem ruhigen Hohenwart !

  • #3

    Ute (Freitag, 22 Februar 2019 18:48)

    Wunderschöne Fotos, lebhafte Schilderung.
    Da ich alleine reise, war ich mit einer Reisegruppe dort. Gerade am Sewansee war das Wetter so schlecht, daß der Ausflug nach Tatev gestrichen werden mußte.
    LG
    Ute