Einmal Yerevan und zurück

ankommen

Nächtigen in der Villa
Nächtigen in der Villa

Es ist fünf Uhr 30 morgens lokaler Zeit und stockdunkel, mein Körper fühlt sich an, als wollte er weder auf den Beinen noch überhaupt wach sein: Ankunft auf dem Flughafen Zvartnots in Yerevan. In der Halle wartet ein Mann auf mich, der einen Zettel mit meinem Namen hochhält. Zur Begrüßung fragt er mich auf Russisch, ob ich Russisch spreche. Das verstehe ich zwar, aber antworten kann ich nur njet. Wortlos läuft er aus der Halle, durch das Labyrinth des schummrig beleuchteten Flughafenparkplatzes zu einem Auto. Er soll mich zum Hotel bringen, wir fahren also los.

Die Strecke ist zunächst noch beleuchtet und von Casions und Tankstellen gesäumt. Dann werden die Straßen immer dunkler, es geht hoch und runter, links und rechts. Ich denke mir, der Fahrer könnte mich nun irgendwohin fahren, ich hätte ja keine Ahnung, ob wir richtig sind. Zum Glück bin ich zu müde, um mich diesem Gedanken zu widmen und ansonsten auch kein ängstlicher Typ.

Um sechs Uhr bin ich in meinem Hotelzimmer angelangt, das ein wenig an eine italienische Villa erinnert und ich hole so gut es geht Schlaf nach, um 12 Uhr beginnt mein “Dienstgeschäft”. 

 

In den nächsten Tagen lerne ich Yerevan weiterhin fast nur bei Nacht kennen. Ich erfahre unter anderem, dass die Straßenbeleuchtung in den Außenbezirken um 12 Uhr nachts ausgeschaltet wird, in der Innenstadt sieht es aber wohl etwas anders aus. Auch ein Beitrag zur Bekämpfung der Lichtverschmutzung. 

 

Nachts auf verwinkelten Wegen hoch und runter unterwegs zu sein, oft auch zu Fuß, wird sich in den nächsten Tagen weiter fortsetzen. 

Yerevan bei Nacht, unten links beginnt die Klaviertreppe
Yerevan bei Nacht, unten links beginnt die Klaviertreppe

Typisch für Yerevan - und viele osteuropäische Städte, wie man mir erzählt - sind breite Boulevards mit passend dazu großzügigen Bürgersteigen, kombiniert mit vielen schmalen, verwinkelten Seitenstraßen gleich daneben. In Yerevan kommen auch noch diverse Treppen dazu. Mir gemerkt und entsprechend getauft habe ich die "Klaviertreppe", da die Stufen wie Klaviertasten bemalt sind. 


Bemalungen aller Art finden sich auch an vielen Hauswänden und Durchgängen. Im Gegensatz zur globalen street art Szene, deren Spuren man ja eigentlich weltweit findet, wird Yerevan allerdings von offiziellen städtischen Künstlern verschönert. 

Hausdurchgang in Yerevan
Hausdurchgang in Yerevan

kennen lernen

Im Vordergrund ein Plan der Stadt Yerevan, im Hintergrund die Kaskaden
Im Vordergrund ein Plan der Stadt Yerevan, im Hintergrund die Kaskaden

Auch meine erste kleine Stadtführung erlebe ich im Dunkeln. Verbunden damit ist meine erste Begegnung mit einer jungen Armenierin außerhalb meiner beruflichen Kontakte. Ich habe viel über die Gastfreundschaft und Freundlichkeit der Armenier gelesen und gehört, aber trotzdem übertrifft dieses Erlebnis alles, was ich mir an Erwartungen so machen konnte. 

Wir wandern lange durch die Stadt und zwischen den Gebäuden und Statuen, die sie mir zeigt und erklärt, nutze ich die Gelegenheit, sie auszufragen und mehr über sie, ihr Land und ihr Volk zu erfahren. 

Ihr leidenschaftlicher Patriotismus, ja Liebe für ihr Land ist gepaart mit viel Pragmatismus und Realismus im Hinblick auf die derzeitige Situation des Landes und was sie daraus für sich ableitet. Eine Kombination, die ich gleichzeitig faszinierend und fremdartig finde. Irgendwann sage ich daher zu ihr, dass ich glaube, dass es kaum ein Volk auf der Welt gibt, das weniger patriotischer ist als die Deutschen. 

 

Das Thema street art beschäftigt mich weiterhin und ich befrage meine lokale Expertin danach. Sie meint, den Armeniern wären die Wände alter Häuser zu heilig, um sie einfach so zu bemalen, sie könnte sich nicht vorstellen, das jemand auf solch eine Idee kommen würde. 

 

Neue Häuser gibt es inzwischen in der Yerevaner Innenstadt genug, aber auch diese flößen wohl potentiellen street artists (noch) zu viel Respekt ein. Oder ich muss einfach noch genauer suchen und schauen. Dazu werde ich ja in den nächsten Jahren Zeit genug haben.


erkunden

Markthalle: Stand mit Gewürzen
Markthalle: Stand mit Gewürzen

Meine vorerst letzten beiden Tagen in Armenien, es ist Wochenende und ich habe Zeit und nette Kolleginnen, die mir viele verschiedene Seiten von Stadt und Land zeigen.

Wie überall auf der Welt, wo ich bisher war, sind Markthallen für mich mal wieder ein Highlight! In Yerevan ist die Marktalle namens Nr. 2 eine bunte Mischung aus üppig dekorierten großen Ständen professioneller Händler im vorderen Teil der Halle und kleineren Ständen mit selbst angebauten oder auch selbst hergestellten Produkten von Bauern aus dem Umland in der hinteren Hälfte. 


Ich erfahre, welcher Stand gute Pilze im Angebot hat, wo es nicht nur eine große Auswahl an Gewürzen gibt, sondern auch dreisprachige Schildchen dazu (armenisch, russisch, englisch) und probiere eingelegtes Gemüse. 


Zwischendurch finden sich noch Nüsse, Trockenfrüchte, natürlich jede Menge frisches Obst und Gemüse und in einer Ecke der Halle ein Lädchen mit frischen Fischen - sie schwimmen im Aquarium, bis sich ein Käufer findet. Beruhigend frisch, wie ich finde.


In der Markthalle Nr. 2 in Yerevan
In der Markthalle Nr. 2 in Yerevan

Armenische Landschaft bei Noratus
Armenische Landschaft bei Noratus

Am Sonntag verlassen wir dann die Stadt für einen Ausflug in Richtung Sewansee. Ziel ist ein Feld von Kreuzsteinen (Chatkars) auf dem Friedhof des Dorfes Noratus.

 

Nachdem der Speckgürtel von Yerevan mit Tankstellen, Baumärkten und Hotels im Mittelalter-Burgen-Stil hinter uns liegt, wird es ziemlich schnell ziemlich einsam, das Land ist weit und leer. Am Horizont tauchen schneebedeckte Gipfelketten auf. Um uns herum Hänge und Hügel. 

Die Landschaft erinnert mich ein wenig an die schottischen Highlands, die ich vor einigen Jahren mal besucht habe. Oder auch an Andalusien, auch hier ist das Land trocken, die Vegetation spärlich und wenige Siedlungen liegen inmitten von ganz viel Gegend. Mal sehen, ob und wann sich in Armenien dann die Windräder dazugesellen, die in Südspanien nun allgegenwärtig sind …


Auf dem Feld von Kreuzsteinen sind wir die einzigen Besucher und wandern staunend im leichten Schneetreiben umher. Eine alte Frau kann die Situation nutzen, dass der Temperaturunterschied zwischen Yerevan und der Hochebene, verbunden mit Wind und Schnee doch etwas ungemütlich ist und verkauft Selbstgestricktes.

Zwischen den uralten Steinen versuchen ultramoderne QR-Codes den Besuchern den Weg zu weisen. Die guten alten Hinweistafeln - vielsprachig - vor dem Gelände erscheinen uns aber im Vergleich irgendwie doch einfacher in der Handhabung, zumindest bei dieser übersichtlichen Stätte.


Kloster Hajravankh
Kloster Hajravankh

Auf dem Rückweg halten wir noch am Kloster Hajravankh direkt am Sewansee, erbaut im 9. Jahrhundert und blicken von der felsigen Anhöhe auf den See.

 

Im Inneren der Klosterkirche mischen sich kahle Felswände, halb verwitterte Wandreliefs, Marienbilder, Kerzen und Plastikblumen zu einem ganz besonderen Eindruck des religiösen Lebens.


Sewansee
Sewansee

fragen & antworten

Am Ende stehen Fragen, die ich mir selbst stelle und die mir Kollegen, Freunde und meine Familie stellen: Wie ist mein Eindruck von Land und Leuten und kann ich mir vorstellen, hier ab September zwei Jahre zu arbeiten und zu leben - obwohl dies eine theoretische Frage ist, da ich mich ja schon entschieden habe.

Das Gefühl, das nach dieser Woche bleibt und dass ich vielen Menschen gesagt habe, die ich in dieser Woche getroffen habe, ist, dass ich es bedauere, dass ich erst im September kommen kann. Jetzt, nachdem ich eine Vorstellung habe, was mich erwartet, steigt meine Vorfreude, mich in Yerevan einzuleben und einzurichten. 

Und die wichtigsten Voraussetzungen hierfür sind zuallererst die Menschen, die ich kennengelernt habe, dann Zuversicht, mir auch dort ein Netzwerk an Freunden aufbauen zu können und zu guter Letzt die Sicherheit, dass meine Familie und Freunde hier und im Rest der Welt in Gedanken und Worten - und ab und zu auch zu echten Besuchen - bei mir sein werden: Es wird Torte geben, Schokoladentorte!


Tortenauswahl in einem Yerevaner Supermarkt
Tortenauswahl in einem Yerevaner Supermarkt


Kommentar schreiben

Kommentare: 4
  • #1

    Vaneh Andresian (Montag, 01 Dezember 2014 12:15)

    Ich hoffe der Eindruck wird genauso gut bleiben!
    Und die nächsten 2 Jahre werden noch besser sein.^_^
    Freundliche Grüße
    Vaneh

  • #2

    Martina Kitowski (Mittwoch, 03 Dezember 2014 14:01)

    dein Bericht ist beeindruckend und macht Lust auf
    mehr; Bilder die eine Einladung sind, dich unbedingt
    in deiner Wahlheimat zu besuchen und durch dich
    eine Menge über dieses mir bisher so fremde Land
    und seine liebenswerten Menschen zu erfahren; ich
    komme Silvia, alleine schon wegen der Schokotorte
    Martina

  • #3

    Maike Steuer (Samstag, 06 Dezember 2014 21:32)

    Dass Oskar und ich dich besuchen kommen werden, ist abgemachte Sache. Ich sag nur "Delhi reloaded" :-) Bin schon sehr gespannt, wie sich dein neues Leben entfalten wird und mir mehr als sicher, dass du die Stadt ordentlich aufmischst ;-).

  • #4

    Peter (Dienstag, 01 September 2015 20:16)

    Hey Silvia, bist du gut angekommen? Bin gespannt, was du bald
    alles zu berichten hast aus Eriwan! Die Bilder sehen in jedem Fall
    sehr beeindruckend aus. Genieß die Zeit! Bis bald, Peter