Weil an jeder Straßenecke ein Trinkbrunnen steht

Mein 84. von 111 Gründen, Armenien zu lieben

Trinkbrunnen in der Fußgängerzone von Gyumri
Trinkbrunnen in der Fußgängerzone von Gyumri

Im November 2019 ist im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag mein Buch

 

111 Gründe, Armenien zu lieben

Eine Liebeserklärung an das schönste Land der Welt

 

erschienen. Dank der Erlaubnis des Verlags darf ich auf meinem Blog einige Texte daraus veröffentlichen.

Hier der erste Probeschluck:


Wenn es von einem urbanen Gegenstand in Yerevan noch mehr gibt als Geldautomaten, dann sind es die Trinkbrunnen. Im Jahr 1968 hat Yerevan seinen 2750. Geburtstag gefeiert, zu diesem Anlass wurden in der ganzen Stadt 2.750 Trinkbrunnen aufgestellt. Viele von ihnen sind auch heute noch in Betrieb und gehören zu den mannigfaltigen Gründen, warum Yerevan gerade im Sommer so eine angenehme Stadt ist. Angefangen beim trockenen Klima, weshalb die Café-Betreiber im Hochsommer bisweilen die Gäste mit Sprühnebel erfrischen. Dazu kommen die kühlenden Parks und die breiten Straßen, so ausgerichtet, dass der Wind die Hitze nach Süden aus der Stadt hinaus weht. Und wenn das alles noch nicht reicht, ist der nächste Trinkbrunnen bestimmt nicht weit. An den großen Plätzen steht am Rand immer ein Brunnen bereit, je größer der Platz, umso größer auch der Brunnen. 

Der Bauernmarkt in der Nähe meiner Wohnung etwa bot zwar den Kunden kaum Parkmöglichkeiten, aber natürlich einen großen Trinkbrunnen von zwei Metern Breite mit gleich vier Wasserdüsen nebeneinander. Praktisch jede Straßenkreuzung in der Innenstadt ist ebenfalls mit einem Trinkbrunnen ausgestattet, Parks bieten nicht nur Schatten, sondern meist auch eine Wasserquelle. Normalerweise handelt es sich um recht kleine, knapp einen Meter hohe, dunkelgraue Basaltsäulen in eckig oder rund mit einer Wasserdüse oben drauf. 

Ein besonders großer und auch sehr beliebter Trinkbrunnen steht am Rande des Platzes der Republik, direkt neben dem Eingang zur Nationalgalerie. Er besteht aus gleich sieben runden, grauen Basaltschalen, angeordnet im Kreis von fast zwei Metern und gekrönt von sieben bronzenen, von einem bekannten Juwelier kunstvoll gestalteten Wasserdüsen. Das klingt zwar üppig, aber an heißen Tagen drängeln sich die Leute um diesen Brunnen, vielleicht musst du sogar Schlange stehen, um daraus trinken zu können. 

Quelle: By IM3847 - Own work, CC BY-SA 4.0
Quelle: By IM3847 - Own work, CC BY-SA 4.0

Damit ist die Frage, ob das Wasser sicher ist, auch gleich beantwortet. Zum Thema Wasser hatte ich ja bereits mein armenisches Lieblingsmineralwasser aus dem Kurort Jermuk beschrieben (31. Grund). Armenisches Wasser aus Trinkbrunnen schmeckt ebenfalls gut, kühl und erfrischend, und fließendes Wasser ist ja sowieso im Hinblick auf Keime eine sichere Sache. Armenien hat auch kein Wasserproblem, neben Steinen besitzt das Land reichlich Wasser und seit aus den Bergen entsprechende Leitungen und Rohre verlegt wurden, steht es überall im Land zur Verfügung. Zudem ist die Wasserversorgung in Yerevan in einem modernen, guten Zustand, das Wasser wird laufend kontrolliert. 

Die Armenier nennen ihre Trinkbrunnen liebevoll Pulpulak (armenisch: պուլպուլակ), ein lautmalerisches Wort, bestehend aus „pul-pul“ zur Beschreibung des blubbernden Geräuschs und „ak“ für Wasserquelle.

Auch wenn Yerevan mit seinen über 2.750 Trinkbrunnen der unangefochtene Spitzenreiter ist, in anderen armenischen Städten sorgen ebenfalls Brunnen für Erfrischung. Gyumri im Norden des Landes mit seiner schönen Altstadt aus der Zarenzeit (104. Grund) hat auch viele Pulpulak aufzuweisen. An einem sonnig-warmen Samstag im April laden meine Studentinnen meine armenische Kollegin und mich zu einem Ausflug dorthin ein. Ich kenne zwar Gyumri schon, aber zusammen mit so vielen kundigen Einheimischen lerne ich viel dazu. Meiner Kollegin und Freundin erzähle ich, dass ich eine kleine Fotoserie mit Trinkbrunnen begonnen habe, dazu gab es ja in Yerevan viel Gelegenheit. Zu den Brunnen in Gyumri berichtet sie mir, dass viele der Pulpulak hier Verstorbenen gedenken, gespendet von den Angehörigen. In diesem Fall ist der Name des Verstorbenen in die graue Basaltsäule eingemeißelt. Und auch die niedrige Höhe des Brunnens hat ihren Sinn, erklärt sie mir. Der Trinkende beugt sich damit nicht nur zum Wasser, sondern dankt mit seiner Verbeugung gleichzeitig dem Spender und gedenkt der Seele des Verstorbenen. Und solange das Wasser sprudelt, bleibt die Erinnerung an diese Person in den Herzen der Menschen lebendig.

Ein klein wenig stehen solche Pulpulak also in der gleichen Tradition wie die armenischen Chatschkars, den Kreuzsteinen, die ja bisweilen auch im Andenken an Verstorbene errichtet wurden (66. Grund) – und vielleicht sogar wie die geheimnisvollen, jahrtausendealten Drachensteine (67. Grund), die möglicherweise auch Teil eines Wasserkultes waren. 

Daher findet sich passenderweise ab und zu neben einer einsamen Kirche oder bei einer abgelegenen Kloster-Ruine ein Trinkbrunnen. Kein Weg und Steg weit und breit, nur Steine und wuchernde, bunte Brache-Pflanzen, nirgendwo ein Kiosk oder WC-Häuschen zu entdecken, aber ein sprudelnder Pulpulak neben einer Bank im Schatten, der Nukleus armenisch-touristischer Infrastruktur.

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Kommentare: 1
  • #1

    Lutz Harp (Mittwoch, 15 November 2023 18:41)

    Eine brillante Idee und Umsetzung( Stückzahlmäßig)! Nur die deutschen Hygieneregeln würden sowas bei uns nicht zulassen.
    Wir verbleiben wie immer mit sprudelfrischen Grüßen & klarem Menschenverstand( wie immer Sie das verstehen �) sowie pfiffigen plastikflaschenfreien Ideen.

    Lutz Harp Handwerksmeister HSL
    Harp Haustechnik GmbH Trinkbrunnenmanufaktur

    Fernsprecher 035 891 - 70 47 74 oder Funk & WhatsApp 0172 35 12 789 Fax 035 891 - 70 47 75

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    www.trinkbrunnen.info